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Todesrosen

Todesrosen

Titel: Todesrosen
Autoren: Arnaldur Indridason
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eine Phobie vor der Außenwelt«, sagte Sigurður Óli. »Du willst dich abschotten, das Licht ausmachen und dir eine Schlafmaske aufsetzen. Du hast dir sogar schon so ein Ding zugelegt.«
    »Im letzten Winter habe ich eine Anzeige gesehen«, entgegnete Erlendur, der sich inzwischen mit den spöttischen Bemerkungen über seine Schlafmaske abgefunden hatte. »Eins von den gehobenen Restaurants hat das traditionelle Þorrablót-Bufett inseriert, mit allem, was dazugehört, sauren Widderhoden, Walspeck, gesäuerter Grützwurst, gesengten Schafsköpfen und so weiter. Die Angestellten des Lokals hatten sich hinter diesem köstlich aussehenden patriotischen Büfett mit traditionellem isländischem Essen aufgestellt und trugen samt und sonders rotkarierte Hemden, Jeans und einen weißen Cowboyhut auf dem Kopf.« Erlendur beugte sich über den Schreibtisch und sagte mit grimmiger Miene zu Sigurður Óli: »Was hat der Wilde Westen mit einem isländischen Winterfest zu tun?, habe ich nur gedacht. Was soll denn so eine Geschmacklosigkeit? Und dann habe ich es auf einmal kapiert. Saure Hammelhoden und Schafsköpfe erhalten erst dann einen Wert, wenn man sie mit Amerika in Verbindung bringt. Auf Island ist alles erst dann ›cool‹ oder ›smart‹, wenn es auf irgendeine Weise amerikanisiert ist. Düsenjets und Computer sind die bedeutendsten Erfindungen des zwanzigsten Jahrhunderts, aber nicht weniger toll sind die Wörter, die dafür im Isländischen geprägt wurden, þota und tölva. Leider interessiert sich aber niemand mehr dafür, isländische Denkweise und Sprachkultur zu bewahren, das geht alles den Bach runter.«
    »Ich glaube nicht, dass es irgendwas speziell mit Amerika zu tun hat, es liegt wahrscheinlich einfach daran, dass die Welt kleiner geworden ist«, sagte Sigurður Óli, der genau wusste, dass Erlendur niemals einen McDonalds betreten würde. »Die Amis sind bloß meist den anderen meilenweit voraus, wenn es um Lifestyle geht. Die anderen äffen es dann immer nur nach. Und was soll denn eigentlich diese Forderung nach Bewahren von isländischer Denkweise und Sprachkultur, die du immer stellst? Die Franzosen sind enorme Patrioten, aber guck dir doch an, wie überheblich und stinklangweilig sie sind. Du möchtest vielleicht, dass wir so werden wie die Franzosen? Meiner Meinung nach hat so eine Politik der Isolierung keinerlei Zukunft. Die Isländer werden es nie lernen, Geschmack und Stil zu entwickeln, was sich nicht zuletzt an einem so schauerlichen Fraß wie gesäuerten Hammelhoden und abgesengten Schafsköpfen zeigt. Wer kriegt denn so ein Zeugs runter? Und ich bin mir auch nicht sicher, ob die jungen Leute heutzutage Jón Sigurðsson überhaupt noch kennen oder der Meinung sind, dass er irgendeine Bedeutung für sie hat.«
    »Alle kennen Jón Sigurðsson. So dämlich sind die Isländer doch wohl noch nicht.«
    »In Reykjavík gibt es fünf Stellen, wo man sich tätowieren lassen kann«, sagte Elínborg, die in diesem Augenblick Erlendurs Büro betrat. Die Tür stand wie gewöhnlich offen, nur wenn Erlendur jemanden in seinem Zimmer vernahm, schloss er sie. Elínborgs Alter war schwer einzuschätzen, wahrscheinlich irgendwo zwischen vierzig und fünfzig. Sie war etwas mollig, aber nicht dick, kleidete sich geschmackvoller als alle anderen weiblichen Mitarbeiter und war für ihre Kochkünste bekannt. Ihre Rezepte waren sehr gefragt, und sie rückte sie auch bereitwillig heraus, obwohl sie ansonsten manchmal etwas schwierig im Umgang war. Hühnchen waren ihre Spezialität, sie kannte wer weiß wie viele Zubereitungsarten. Ihre drei Kinder wussten das zu schätzen, und auch bei ihrem Ehemann, der eine kleine Autowerkstatt besaß, ging die Liebe zunächst einmal durch den Magen.
    »Die klapperst du zusammen mit Þorkell ab. Beschreibe diesen Leuten das Mädchen, und finde heraus, ob sie irgendwer kennt«, sagte Erlendur. »Die von der Spurensicherung haben bestimmt ein Foto von ihrem Hintern gemacht, besorg dir einen Abzug, und stell fest, ob einer dieser Typen seine künstlerische Handschrift wiedererkennt. Hat inzwischen jemand nach ihr gefragt?«
    »Noch nicht«, entgegnete Elínborg und war schon fast wieder aus der Tür. »Ob die wohl auch sonntags tätowieren?«
    »Keine Ahnung«, sagte Erlendur.
    »Ich mach mich lieber allein auf den Weg. Þorkell ist dieser Tage ziemlich unerträglich.«
    »Wieso?«, fragte Sigurður Óli.
    »Probleme mit den Frauen. Seine Blondine, diese Zahnärztin, hat ihm den
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