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Todesrosen

Todesrosen

Titel: Todesrosen
Autoren: Arnaldur Indridason
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fragte Erlendur.
    »Den habe ich nur ganz undeutlich gesehen und kann ihn absolut nicht beschreiben. Er war aber dunkel gekleidet.«
    »Dunkel gekleidet? Hast du nichts anderes bemerkt? Wo genau warst du auf der Suðurgata, als du ihn gesehen hast?«
    »Verhältnismäßig weit unten«, sagte Bergþóra und sah Erlendur in die Augen. Sie war keine geübte Lügnerin, deswegen klappte es auch jetzt nicht. Sie war müde, und ihr lag vor allem daran, die Sache so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, um endlich ins Bett gehen zu können. Sie war angestrengt darum bemüht, das zu verschweigen, was nicht ans Licht kommen sollte. Ihr entging nicht, dass Erlendur das spürte.
    »Du hast ihn also nicht sehr gut sehen können?«, fragte Sigurður Óli, der sich jedoch keineswegs den Kopf über irgendwelche Details zerbrach, die den Fall betrafen, sondern einzig darum bemüht war, vor den Augen dieser schönen jungen Frau Eindruck zu schinden. Sie sieht verdammt gut aus, dachte er, der sich selber auch durchaus für attraktiv hielt. Ein vulgärer Ausdruck, den er erst kürzlich bei einem sich mit Frauengeschichten brüstenden Bekannten aufgeschnappt hatte, fiel ihm ein. Stechen.
    »Ich habe ihn nicht gut gesehen, und er rannte ziemlich schnell weg, er war eigentlich im nächsten Augenblick schon um die Ecke gebogen. Ich habe aber auch nicht besonders auf ihn geachtet, denn da wusste ich ja noch nichts von der Leiche.«
    »Du bist sicher, dass es sich um einen Mann gehandelt hat?«, fragte Erlendur.
    »Ja, absolut.«
    »Du nimmst das Ganze erstaunlich gelassen hin. Warst du denn nicht entsetzt, als du mitten in der Nacht, ganz allein, die Leiche entdeckt hast?«, fragte Erlendur, vorsichtig nachhakend. »Außerdem heißt es doch, dass es auf dem alten Friedhof spukt.«
    »Ich glaube nicht an Gespenster, und um diese Jahreszeit kann man ja wohl kaum von Nacht reden«, erklärte sie mit einem Lächeln. »Natürlich war ich geschockt, und eigentlich habe ich mich auch davon überhaupt noch nicht erholt. Ich habe noch nie in meinem Leben eine Leiche gesehen, und es ist schrecklich, wenn ein so junges Mädchen stirbt und einfach von irgendwem irgendwo hingeworfen wird. Wisst ihr denn eigentlich schon, woran sie gestorben ist?«
    »Zum gegenwärtigen Zeitpunkt möchten wir so wenig wie möglich dazu verlauten lassen«, antwortete Sigurður Óli.
    »Sie wurde doch ermordet, oder nicht?«
    »Hast du dieses Kostüm angehabt, das da auf dem Stuhl liegt, als du sie gefunden hast?«, fragte Erlendur, ohne auf ihre Frage einzugehen. Seine Blicke waren auf den Esszimmerstuhl gefallen, wo sie die Sachen nach dem Umziehen in aller Eile abgelegt hatte. Sie war nicht dazu gekommen, sie wegzuhängen. »Bist du hingefallen? Ich glaube, da sind Flecken.«
    »Ja, ich bin hingefallen.«
    »Du hast dich dabei hoffentlich nicht verletzt?«
    »Nein.«
    »Sind das nicht Grasflecken? Bist du auf dem Austurvöllur hingefallen?«
    »Nein, das sind … Also gut«, seufzte sie. »Er hat mich gebeten, ihn da rauszuhalten, aber eigentlich ist es mir scheißegal, was er will. Er hat mich einfach alleine da zurückgelassen! Wir waren zu zweit auf dem Friedhof. Er und ich besitzen zusammen mit einigen anderen eine Firma. Er hat mich ins Hotel Borg eingeladen, und wir waren auf dem Weg nach Hause, als mir plötzlich einfiel, dass wir eine Abkürzung über den Friedhof nehmen könnten. Wir sind dann aber stehengeblieben, haben uns ins Gras gelegt und ein bisschen rumgemacht, aber dann hörte ich ein Geräusch, und wir haben aufgehört.«
    »Macht’s dir Spaß, auf Friedhöfen … rumzumachen?«, fragte Erlendur.
    »Macht’s dir Spaß, danach zu fragen?«, entgegnete sie.
    »Wir versuchen, uns ein Bild …«
    »Was soll ich darauf antworten? Dass ich es geil finde, es auf dem Friedhof zu machen? Okay. Ich find’s geil, draußen in der Natur zu vögeln, und ein Friedhof ist ja auch so etwas wie Natur. War es nicht das, was ihr hören wolltet? Damit hat sich’s aber auch. Es hat nichts mit Leichen zu tun, verstanden? Ich möchte, dass das klar ist.«
    »Und der Don Juan ist einfach abgehauen, als ihr die Leiche gefunden habt?« Erlendur ließ nicht locker. Er hatte eine Tochter, die ihm wesentlich schlimmere Geschichten aus der Gosse erzählte als dieses hübsche kleine Friedhofsabenteuer der Yuppie-Dame.
    Hat er es ihr etwa auf dem Friedhof besorgt?, dachte Sigurður Óli, der nicht umhinkonnte, sich diese Szene auszumalen, und deswegen für einen Augenblick
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