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Todesrosen

Todesrosen

Titel: Todesrosen
Autoren: Arnaldur Indridason
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Augen geöffnet hatte. Er fasste sich an die Augen, fühlte die Maske und riss sie herunter. Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass es ihm gelungen war, eine Stunde zu schlafen.
    »Es handelt sich nicht um eine verbuddelte Leiche, sondern um ein junges Mädchen, verstehst du? Willst du wissen, wo sie liegt?«, fragte Sigurður Óli.
    »Hast du nicht gerade gesagt, sie läge auf dem Friedhof?«
    »Auf dem Grab von Jón Sigurðsson. Du weißt schon, Islands Ehre, Schwert und so weiter.«
    »Auf dem Grab von Jón Sigurðsson?«
    »Wenn ich es richtig verstanden habe, ist sie dort hingelegt worden. Sie ist nackt, und die Frau, die sie fand, glaubt, gesehen zu haben, wie ein Mann zum Friedhofstor hinaushuschte, kurz bevor sie die Leiche fand.«
    »Wieso Jón Sigurðsson?«
    »Gute Frage!«
    »Heißt sie womöglich Ingibjörg?«
    »Wer? Die Zeugin?«
    »Das Mädchen.«
    »Wir wissen noch nicht, um wen es sich handelt. Wieso Ingibjörg?«
    »Warum weißt du nie etwas, was von Belang ist?«, sagte Erlendur boshaft. »Jón Sigurðssons Frau hieß Ingibjörg. Bist du schon auf dem Friedhof?«
    »Nein. Soll ich bei dir vorbeikommen?«
    »Gib mir fünf Minuten.«
    »Wie hat die Schlafmaske gewirkt?«
    »Schnauze!«
     
    Erlendur lebte seit seiner Scheidung vor vielen Jahren in einer nicht sehr großen Wohnung im ältesten Teil des Breiðholt-Viertels. Seine Kinder besuchten ihn dort manchmal, wenn sie eine Zuflucht brauchten. Beide waren bereits über zwanzig, seine Tochter war rauschgiftsüchtig und sein Sohn Alkoholiker. Erlendur bemühte sich zwar nach besten Kräften, ihnen beizustehen, hatte aber nach zahllosen Versuchen die Erfahrung machen müssen, dass es wohl ein hoffnungsloser Kampf war. Deswegen hielt er sich jetzt an die einfache Philosophie, dass das Leben einfach seinen Gang geht. Die beiden hatten im Laufe der Zeit herausgefunden, dass ihre Mutter nicht bei der Wahrheit blieb, wenn sie über ihren Vater herzog und kein gutes Haar an ihm ließ. Seit der Scheidung war er ihr schlimmster Feind, und gleichzeitig der schlimmste Feind ihrer Kinder. Sie machte ein Scheusal aus ihm.
    Als Erlendur und Sigurður Óli beim Friedhof eintrafen, hatte die Polizei das Gelände bereits mit einem gelben Absperrband umgeben und die Suðurgata für den gesamten Verkehr gesperrt. Spürhunde schnüffelten am Friedhofstor herum. Etliche Schaulustige, der Bodensatz des Reykjavíker Nachtlebens, standen bei den Absperrbändern und verfolgten neugierig alles, was sie auf die Entfernung erkennen konnten. Die Leute von der Spurensicherung machten sich am Grab von Jón Sigurðsson zu schaffen, einer fotografierte die Leiche aus unterschiedlichen Perpektiven. Zeitungsreporter hatten sich auch bereits eingefunden und richteten ihre Kameras auf die Szenerie, die sich ihnen darbot, aber der Zutritt zum Friedhof war ihnen verwehrt. Es war kurz nach vier Uhr morgens, und die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Polizei- und Krankenwagen mit eingeschaltetem Blaulicht parkten in einer langen Reihe auf der Suðurgata. Weil die Nacht so strahlend hell war, fielen die zuckenden Blitze jedoch kaum auf.
    Erlendur und Sigurður Óli gingen zu der Grabstätte, wo ihnen ein schwacher Modergeruch von dem verwelkenden Nationalfeiertagskranz entgegenschlug. Der weiße, knochige Körper des jungen Mädchens wurde von Sonnenstrahlen umspielt. Sie lag noch genauso da, wie sie aufgefunden worden war. Elínborg und Þorkell, ein weiterer Mitarbeiter der Kriminalpolizei, standen neben der Leiche.
    »Ein richtiges Stillleben«, sagte Erlendur, ohne zu grüßen. »Weiß man schon etwas?«
    »Wir haben noch keinen Namen, aber der Arzt hat sie sich angeschaut und erste Schlüsse gezogen«, meldete sich Elínborg zu Wort. »Es scheint sich um einen Mord zu handeln.«
    Ein Mann in Erlendurs Alter stand über die Leiche gebeugt und richtete sich jetzt auf. Er hatte einen Rauschebart und trug eine dicke Hornbrille. Erlendur kannte ihn recht gut und wusste, dass er immer noch sehr unter dem Tod seiner Frau litt, die vor zwei Jahren an Krebs gestorben war. Sie arbeiteten schon lange zusammen und kamen gut miteinander aus, sprachen aber nie über Privates. Erlendur vermied es möglichst, sich in die Privatangelegenheiten anderer einzumischen, er fand, dass er genug mit seinen eigenen Problemen und denen seiner Kinder zu kämpfen hatte.
    »Ich muss sie mir natürlich noch genauer anschauen, aber ich tippe auf Tod durch Ersticken. Sie ist misshandelt, möglicherweise auch
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