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Todesrosen

Todesrosen

Titel: Todesrosen
Autoren: Arnaldur Indridason
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mit seinen Gedanken ganz woanders war. Er war unverheiratet, und es war bereits geraume Zeit her, seit er das letzte Mal mit einer Frau im Bett war.
    »Mein Don Juan hat überhaupt nicht mitgekriegt, dass da einer aus dem Tor herausgelaufen ist«, sagte sie und stand auf. Sie fand es unangenehm, diesen beiden Männern gegenüberzusitzen und ihnen zu sagen, was sie gemacht hatte. Der Ältere wandte seine Blicke nicht von ihr ab, und der Jüngere machte im Augenblick den Eindruck, als sei er komplett weggetreten. Attraktiv ist er ja, dachte sie, aber momentan guckt er schafsdumm aus der Wäsche.
    »Du warst also ein ganzes Stück entfernt, mitten auf dem Friedhof, und hast wahrscheinlich etwas Dunkles zum Tor rausrennen sehen, bevor du die Leiche bemerkt hast. Kannst du versuchen, dich genauer daran zu erinnern? Hast du irgendetwas bemerkt, was uns weiterhelfen könnte? Alter? Haarfarbe? Kleidung? Du hast auf keinen Fall sehen können, dass er in den Skothúsvegur einbog, wie du vorhin gesagt hast, oder ob er nicht doch mit einem Auto da war. Ist doch sehr unwahrscheinlich, dass er sie nackt über eine längere Strecke bis hin zum Friedhof getragen hat, um sie dort abzulegen. Du hättest eigentlich ein Auto sehen müssen. Eine Lüge will gut vorbereitet sein, verstehst du?«
    »Ich habe nicht gesehen, wohin er lief, nachdem er den Friedhof verlassen hatte. Das mit dem Skothúsvegur war ein Fehler. Aber ich habe weder ein Auto gesehen noch gehört. Als wir die Suðurgata entlanggingen, war fast überhaupt kein Verkehr mehr.«
    »Nur noch eins zum Schluss«, sagte Erlendur lächelnd. »Du bist uns sehr behilflich gewesen. Alles, was du uns mitgeteilt hast, wird vertraulich behandelt und bleibt unter uns, da kannst du unbesorgt sein. Wir haben nicht das geringste Interesse an deinem Privatleben. Hast du eine Ahnung, ob er dich gesehen hat?«
    »Wer?«
    »Der Typ, der da vom Friedhof weggerannt ist.«
    »Großer Gott, hältst du das für möglich?«

Vier
    Gegen Mittag war es ihnen immer noch nicht gelungen, das Mädchen zu identifizieren. Ebenso wenig hatten sich Anwohner an der Suðurgata oder am Skothúsvegur gefunden, denen irgendwelche Personen auf dem Friedhof aufgefallen waren, denn sie hatten alle in dieser Nacht den Schlaf der Gerechten geschlafen. In den Rundfunknachrichten am nächsten Morgen wurde ständig über den Leichenfund berichtet. Der Sommer war wie immer Sauregurkenzeit für die Medien, und die Leiche auf dem Grab von Jón Sigurðsson schlug in allen Nachrichtenredaktionen wie eine Bombe ein. In einer Nachrichtensendung hatte man der Toten bereits einen überaus feinsinnigen Namen gegeben, sie wurde die Präsidentenleiche genannt, und in einer anderen wurde vom Jón-Sigurðsson-Mord gesprochen, was sich so anhörte, als sei Jón Sigurðsson selber das Opfer gewesen.
    Kein einziger Freund oder Bekannter hatte sich gemeldet, der ein junges, dunkelhaariges Mädchen mit einem kleinen Tattoo auf dem Po vermisste. Keine Mutter, die sich Sorgen um ihre Tochter machte, kein Vater, der nach seinem kleinen Mädchen suchte. Keine Geschwister, die ihre Schwester vermissten. Vielleicht war es auch noch zu früh für derartige Anfragen von Angehörigen. Vielleicht vermisste sie ja auch niemand. Die Leiche war ins Leichenschauhaus am Barónsstígur gebracht worden, wo sie nun auf einem kalten Stahltisch lag. Und der obduzierende Arzt sie in Arbeit hatte, wie es hieß. Ein vorläufiger Bericht war schon bald zu erwarten.
    Die Mitarbeiter der Kriminalpolizei stellten sich am nächsten Mittag übernächtigt und übel gelaunt in ihrem Gebäude mit den Alkalischäden ein, das sich in einem Gewerbegebiet in Kópavogur befand. Erlendur war der Meinung, dass das Haus kurz vor dem Einsturz stand. »Ein winziges Erdbeben, und das Ganze zerbröselt zu Staub und Asche«, hatte er einmal in einer Kaffeepause behauptet und hoffnungsvoll geklungen.
    Es war Sonntag, und die meisten Mitarbeiter der Kripo waren extra in den Dienst beordert worden. Auf dem Friedhof an der Suðurgata waren die Leute von der Spurensicherung immer noch mit dem Grab von Jón Sigurðsson und der näheren Umgebung beschäftigt, hatten aber noch nicht den geringsten Hinweis darauf gefunden, um wen es sich bei dem Mädchen handelte oder wie ihr Schicksal besiegelt worden war. Im Lauf des Morgens hatte man die Suðurgata wieder für den Verkehr freigegeben, und viele Schaulustige machten einen Schlenker und fuhren am Friedhof entlang ins Stadtzentrum. Fahrer
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