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Todesrosen

Todesrosen

Titel: Todesrosen
Autoren: Arnaldur Indridason
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Laufpass gegeben. Sie hat auf einer Tagung in London über Implantologie jemanden kennengelernt, und im gleichen Augenblick war Þorkell weg vom Fenster. Er hat’s mir gestern Abend gesagt. Ich hatte ein Tandoori-Hühnchen im Backofen, das hat er ruiniert, weil er sich unbedingt bei mir ausheulen musste. Ich habe keine Lust, mir noch mehr Gejammer von ihm anzuhören«, erklärte sie und verschwand auf dem Flur.
    »Zartfühlend wie immer, unsere Elínborg«, sagte Erlendur.
    »Meinst du, dass wir jemanden vor Bergþóras Haus postieren sollten, da sie ja nun einmal eine Zeugin ist?«, fragte Sigurður Óli. Er hatte den ganzen Morgen an sie und ihre Geschichte vom Friedhof denken müssen. »Wenn du willst, kann ich noch mal hingehen und mich mit ihr unterhalten. Falls der Mörder weiß, dass es eine Zeugin gibt, ist sie womöglich in Gefahr, oder?«
    »Ich begreife nicht, warum dieser Ort gewählt wurde«, sagte Erlendur, ohne auf Sigurður Ólis Frage einzugehen. »Das Mädchen wird irgendwo unter freiem Himmel abgelegt, und zwar an einer sehr auffälligen Stelle, die wahrscheinlich etwas für sie oder den Mann, der sie dort hinlegte, zu bedeuten hat. Es wird nicht versucht, sie zu verstecken, sondern ganz im Gegenteil, sie soll gefunden werden. Sie wurde uns geradezu auf dem Präsentierteller serviert.«
    »Vielleicht war das die erstbeste Gelegenheit, sich ihrer zu entledigen«, entgegnete Sigurður Óli.
    »Würde ein normaler Mörder nicht versuchen, die Tat zu verschleiern? Dieser nicht, dieser hat nichts zu verbergen. Er will gar nichts verschleiern. Man könnte fast den Eindruck haben, dass er Kontakt zu uns aufnehmen will, statt einen weiten Bogen um uns zu machen. Wenn Leute eine Leiche zu entsorgen haben, lassen sie sie normalerweise verschwinden.«
    »Weshalb hat er sich denn nicht gestellt?«
    »Das weiß ich nicht. Ich denke bloß laut. Glaubst du vielleicht, dass ich auf alles gleich eine Antwort parat habe? Das Mädchen ist nackt, es gibt Spermareste, und das Gesicht ist stark geschminkt. Vielleicht hat Elínborg ja recht, und sie ging auf den Strich. Sie kann einem üblen Kunden begegnet sein, der zu weit gegangen ist. Vielleicht hatte sie einen Freund, der nicht davon angetan war, dass sie als Prostituierte arbeitete, und sie deswegen umgebracht hat. Andererseits könnte ihr Freund genauso gut auch ihr Zuhälter gewesen sein. Meine Tochter erzählt mir manchmal etwas aus dieser Szene, du weißt, was mit ihr los ist.«
    Sigurður Óli nickte.
    »Prostitution in Reykjavík ist nur in ganz geringem Maße organisiert, und die Zuhälter kennen einander kaum«, fuhr Erlendur fort. »Wir wissen, dass die Mädchen auf der Straße sind, weil sie Geld für Drogen brauchen. Deren Kundenkreis reicht von zwielichtigen Typen bis hin zum reinsten Abschaum. Sie können auf Brutalos treffen, von denen man sich kaum vorstellen kann, dass es sie gibt. Jón Sigurðssons Mädchen könnte zu denen gehört haben. Wir müssen andere von diesen Mädchen aufspüren und herausfinden, ob sie sie kennen.«
    »Soll ich mich nochmal mit Bergþóra unterhalten und sie beobachten lassen? Sicherheitshalber. Es muss ja niemand etwas davon wissen. Ich könnte das selber machen.«
    »Dann tu das.«
     
    Am späten Nachmittag traf der vorläufige Bericht des Gerichtsmediziners ein, den er in aller Eile zu Papier gebracht hatte. Das Mädchen war etwa eine Stunde vor dem Eintreffen der Polizei gestorben. Sie musste also kurz nach ihrem Tod auf den Friedhof gebracht worden sein. Er muss ein Auto gehabt haben, dachte Erlendur bei sich, während er den Bericht las, er ist bestimmt nicht mit einem nackten Leichnam auf den Schultern von weit her gekommen. Die Spürhunde, die in der Nacht eingesetzt worden waren, waren auf der Suðurgata stehen geblieben und hatten die Spur verloren. Es würde sicherlich nützlich sein, den Hergang zu rekonstruieren, um die zeitliche Abfolge festzulegen. Vom Friedhofstor aus waren es nur etwa zehn Meter bis zur Grabstätte von Jón Sigurðsson, und das Tor befand sich direkt an der Suðurgata. Vor dem Tor zu halten, die Leiche aus dem Auto zu heben, zum Grab zu tragen und wieder zurückzulaufen hätte ihn kaum mehr als eine Minute gekostet.
    Der Arzt hatte viel Heroin im Blut und auch einige Promille festgestellt. Das Mädchen war so unterernährt, dass er sie als Anorexie-Fall einstufte. Und es war Gewalt angewendet worden. Neben den Anzeichen für einen Erstickungstod fanden sich am ganzen Körper zahlreiche
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