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Todesflirt

Todesflirt

Titel: Todesflirt
Autoren: Bettina Broemme
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er war deutlich pünktlicher geworden (okay, er ruft an, wenn er sich mehr als eine halbe Stunde verspätet) und – und da bin ich wirklich stolz drauf – er zog seine Lehre zum Assistenten für Geovisualisierung ziemlich ehrgeizig durch. Der Umgang mit Geodaten machte ihm großen Spaß. Außerdem hatte er nach den drei Jahren Ausbildung, wenn er gut war, die Möglichkeit, seine Fachhochschulreife zu machen und dann zu studieren. Allerdings würde er sicher nie von München weggehen wollen, während ich schon mal von einem Studienplatz in Berlin, Hamburg oder gar London träumte.
    Jetzt aber saßen wir in seinem Wagen, er redete immer noch ins Handy, das er zwischen Hals und Schulter eingeklemmt hatte, seine rechte Hand lag auf meinem Knie. Ich stierte zum Fenster hinaus und nahm nicht wahr, was hinter der Scheibe zu sehen war. David. Türkisblaue Augen. Wundervolle Locken. Durchtrainiert. Schmale Nase. Sanfte Lippen. Lässig unauffällige Klamotten. Ach, diese sanften Lippen …
    »... auf dem Ausflug?«, fragte Max und schüttelte mein Knie hin und her. »Hallo? Jemand zu Hause?«
    Ich legte meine Hand auf seine, versuchte, zu lächeln und ohne ein Räuspern zu antworten. »Das Gewitter hat uns ziemlich überrascht. Fast wären wir vom Blitz erschlagen worden.«
    »Echt? Wow! Gut, dass nichts passiert ist.«
    »Allerdings.«
    »Sollen wir vielleicht lieber zu Hause bleiben heute Abend? Wir können doch auch das Bundesligaspiel gucken, wenn du Lust hast?«
    Ich schüttelte den Kopf. Daheim hätte ich nur gegrübelt. Außerdem wäre Max irgendwann vielleicht zärtlich geworden und hätte … Nein, das ginge heute gar nicht.
    An der nächsten roten Ampel zog Max meinen Kopf zu sich hinüber und küsste mich. Sehr bewusst küsste ich ihn zurück.
    »Gut, dass du nicht flambiert worden bist«, sagte er und kraulte mich am Ohr, als sei ich sein Hund. »Ich hätte dich doch vermisst …!«
    »Echt?«, entfuhr es mir. Gestern noch hatten wir uns gestritten. Ich wollte morgen, am Samstag, zu einer Occupy-Demo gehen, er in die Riem-Arkaden zum Shoppen. Wieso wurde mir mit einem Mal so überlebensgroß deutlich, wie wenig wir zusammenpassten? Annika, meine nächstjüngere Schwester, hatte sich schon das erste Mal halb totgelacht, als sie uns zusammen sah.
    »Der sieht aus wie ein Shiba«, hatte sie gesagt. »Du weißt schon, diese japanischen Hunde mit den breiten Köpfen, schräg stehenden, schmalen Augen, den kurzen Haaren, so ganz hellbraune. Ähnlich wie Chow-Chows, nur kurzhaarig und sportlicher.« Ganz unrecht hatte sie nicht: Max hatte einen ziemlichen Quadratschädel, raspelkurze blonde Haare, hellblaue, lebendige Augen, allzeit rote Wangen und eine ziemlich breite Stupsnase. Es war nicht sein Aussehen, in das ich mich verliebt hatte. Er hatte so eine Beständigkeit ausgestrahlt. Er war mein Fels in der Brandung. Der Garant dafür, in dieser Welt nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren.
    Aber jetzt, das merkte ich gerade genau, wollte ich nichts lieber als das: den Boden unter den Füßen verlieren und fliegen. Mit David in den Himmel fliegen. Scheiße, ich war echt dabei, mich zu verlieben.
    Er wird Repressalien walten lassen. Das Ungeziefer muss vom Antlitz der Erde verschwinden, es muss beseitigt und ausgelöscht werden. Die Aufgabe liegt klar und deutlich vor ihm. Er muss sie nur umsetzen. Bemühe deine Intelligenz, denkt er und betrachtet sich im Spiegel. Alles in Ordnung. Die Augen blitzen blau. Das Haar nicht zu kurz, nicht zu lang. Der Schnurrbart passend getrimmt. Endlich verschwindet das Jungenhafte aus seinen Zügen, das er immer so gehasst hat. Er ist hart – gegen die andern, aber auch gegen sich. Und endlich fängt man an, ihm dies anzusehen. Die weichlichen, weibischen Züge verschwinden. Sein wahres Ich kommt zum Vorschein. Jeder soll sehen, dass mit ihm nicht zu spaßen ist. Dass man mit ihm rechnen muss. Dass die Rechnung nicht ohne ihn gemacht werden kann. Er ist der Herr über Leben und Tod. Da hilft es auch nichts, wenn man sich versteckt. Ich werde ihn finden und ihn ausmerzen wie eine räudige Ratte. Winselnd wird er vor mir im Staub liegen und um Gnade betteln. Aber er hat seine Chance verspielt – seit Langem schon, denkt er.
    Er zieht die Krawatte gerade. Ein ordentliches Äußeres ist ihm wichtig. Sonst wird man so schnell in Schubladen gesteckt und da würde er sich unwohl fühlen. Er ist Individualist, auch wenn er die Gruppe braucht. Aber die Gruppe braucht ihn noch viel mehr.
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