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Todesflirt

Todesflirt

Titel: Todesflirt
Autoren: Bettina Broemme
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uns einfach über diese kleine, runde Schwester, die wir bemuttern konnten. Uns wäre niemals aufgefallen, dass sie anders war als wir. Uns war es egal, dass sie erst mit gut drei Jahren einigermaßen laufen konnte und zu diesem Zeitpunkt nur wenige Worte sprach – während sie heutzutage die größte Plapperliese von uns dreien ist. Sie spricht in kurzen, knappen Sätzen – gerne viele und oft mit wiederkehrendem Inhalt. Mit ihrem wunderschönen Lächeln hatte sie die ganze Familie sofort verzaubert. Meine Eltern taten alles, damit Juli ein so normales Leben wie möglich führen konnte. Na ja, was hieß in einer Familie mit drei Mädels schon normal? Immer war irgendwer beleidigt, laut, albern, zickig, verträumt, krank, zu spät dran oder hungrig. Und da meine Mutter die Gärtnerei ihrer inzwischen verstorbenen Eltern übernommen hatte, war sie viel beschäftigt. Der einzige Vorteil war, dass unser Haus gleich hinter der Gärtnerei lag und sie keine großen Wege zurückzulegen hatte. Außerdem waren wir Mädchen, solange wir noch nicht zur Schule gingen, einfach immer dabei. Im Sommer wühlten wir in der Erde und pflückten Blumen, Obst und Gemüse. Schnell hatte meine Mutter uns beigebracht, beim Säen, dem Ziehen und Pikieren von Setzlingen, Ernten und allen möglichen anderen Dingen, die in der Gärtnerei anfielen, mitzuhelfen. In der kühleren Jahreszeit hielten wir uns viel im Gewächshaus auf, bastelten für die Weihnachtszeit oder für Ostern und waren meist sehr zufrieden damit. Mein Vater Harald war Lehrer an der städtischen Berufsschule für Gartenbau und hatte daher glücklicherweise relativ viel Zeit, sich um uns zu kümmern und meine Mutter zu unterstützen.
    Als Baby und Kleinkind hatte Juli mehrere Herzoperationen zu überstehen und benötigte natürlich sehr viel Aufmerksamkeit meiner Eltern. Später kam Förderung durch Physiotherapeuten und Logopäden hinzu. Aber wenn es eng war, beschäftigten meine Eltern immer wieder Gerda, die als Haushaltshilfe bald unersetzlich wurde. Inzwischen war sie über 70 und kam nur noch zu Besuch zu uns. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich durch Juli bei irgendetwas zu kurz gekommen wäre oder auf etwas hätte verzichten müssen – im Gegenteil, diese Schwester war das größte Geschenk, das man uns hatte machen können. Wir lernten alle schnell, uns auf die wesentlichen Dinge im Leben zu konzentrieren und nicht immer rumzujammern, nur weil mal etwas nicht funktionierte oder ein Wunsch nicht erfüllt wurde. Juli war einfach ein Sonnenschein, die uns alle von dem Moment an, in dem sie morgens die Augen aufschlug, zum Lachen brachte. Außerdem war sie es, die einen am besten trösten konnte – einfach weil sie sofort spürte, wenn was nicht stimmte. Ohne groß zu fragen, nahm sie einen in den Arm, streichelte einem die Hand und summte manchmal eine einfache Melodie dazu. Da fühlte man sich gleich so geborgen und geliebt, dass man jeden Kummer schnell vergaß. Ich jedenfalls war sehr empfänglich für Julis Trostspenden. Annika entzog sich da eher mal. Sie hatte früh versucht, möglichst unabhängig von unserer Familie zu sein, ihren Kopf durchzusetzen und ihre eigene Sache zu machen – je mehr es gegen unsere Familienkonventionen verstieß, umso besser. Im Gegensatz zum Rest der Familie war Annika sehr ordentlich. Sie sah immer wie aus dem Ei gepellt aus und ihr Zimmer war jederzeit aufgeräumt. Auch sonst war sie sehr klar und rational – außer wenn sie für Jungs schwärmte. Da konnte sich schon mal ein Klassenstreber oder ein Muttersöhnchen unter die Objekte ihrer Begierde verirren. Wie erstaunt war ich gewesen, als sie nach dem Realschulabschluss tatsächlich mit einer Gärtnerei-Ausbildung bei meiner Mutter begonnen hatte. Aber sie hatte eben auch den grünen Daumen unserer Ma geerbt. Alles in allem hingen wir fünf sehr aneinander – und natürlich auch an Socke, der Hündin, die eigentlich Cassandra hieß. Aber weil sie sich als Welpe immer auf alle Socken gestürzt hatte, um sie mit ihren kleinen, spitzen Zähnen zu zernagen, hatte sich irgendwann der Name Socke für sie durchgesetzt. Ich glaube, Juli war darauf gekommen.
    Am Mittwoch wurden David und ich losgeschickt, um das wöchentliche Frischobst und -gemüse abzuholen, das es zwischendurch für die Kinder gab. Es war nicht weit zu dem Biobauern, aber weil wir viel zu tragen hatten, nahmen wir den kleinen Transporter, der dem Verein gehörte. Ich befürchtete, die Beifahrertür nicht
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