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Zum Teufel mit dem Jenseits! (German Edition)

Zum Teufel mit dem Jenseits! (German Edition)

Titel: Zum Teufel mit dem Jenseits! (German Edition)
Autoren: Daniela Herbst
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Das Haus
     
    Durch die Fensterscheibe ergießt sich helles Licht auf die Laken. Ihr weiß-gelbes Streifenmuster bildet einen schreienden Kontrast zu dem bleichen Gesicht, das dort auf dem Kissen ruht und von kaltem Schweiß glänzt. Fahle, gräuliche Haut, die dem Tod bereits näher scheint als dem Leben. Mehr Leiche denn Mann.
    Er wirkt fast noch farbloser als das klare bis pastellige Flüssigkeitsgemisch, das über durchsichtige Schläuche in seinen Körper tropft. Mit der Präzision eines Uhrwerks füttert es seine Venen und zählt apathisch die gestohlenen Sekunden.
    Sie versuchen, ihn zu retten. Diesen Patienten mit dem blutgetränkten Verband um die Brust, der zwischen all den Apparaturen zu versinken droht. Jede Stunde sehen sie nach ihm. Notieren seine Werte. Drehen an ominösen Rädchen und klopfen gegen die Plastikbeutel – als müssten sie ständig Sorge tragen, den künstlichen Nieselregen nicht abreißen zu lassen.
    Dabei sind ihre Bemühungen umsonst. Und das würde er ihnen auch sagen. Es ihnen lächelnd zuflüstern.
    Wenn er wach wäre. Wenn sein medikamentenvernebelter Verstand die Gelegenheit dazu bekäme. Aber beides ist nicht der Fall. Er liegt nur da, die Lippen geschlossen, und atmet flach im Duett mit dem gleichmäßigen Piepen der Geräte. Einzig seine Augen zucken hektisch unter den Lidern ...
     
    * * *
     
    »Als ich Markus vor fünf Monaten beerdigt habe, hingen eine Handvoll verwelkte Blätter am Kastanienbaum vor dem Haus. Der Winter kündigte sich an und irgendwo in meinem Inneren begrüßte ich ihn wie einen überraschend aufgetauchten Weggefährten.«
    Die Worte, die über den Couchtisch zu ihm herüberwehten, rührten ihn. Nicht weil sie Mitleid einforderten oder verbittert klangen; denn das taten sie nicht. Sie brachten sein Herz zum Schwingen, weil eine merkwürdige Stärke darin lag. Ein undefinierbarer Funke Energie, der vehement darum kämpfte, trotz der widrigen Umstände nicht zu verlöschen.
    Diese Frau faszinierte ihn. Weckte in ihm den Wunsch, sich aus dem Sessel zu erheben und sie in den Arm zu nehmen. Doch dieses Recht gebührte ihm natürlich nicht. Dafür kannte er sie nicht gut genug. Realistisch betrachtet kannte er sie eigentlich gar nicht.
    Also nickte er nur stumm, beobachtete das Spiel ihrer braunen Locken und konzentrierte sich auf ihre Stimme.
    »Der Anblick spendete mir Trost. Ich weiß nicht, ob Sie das nachvollziehen können, Herr Sommerstedt. Die meisten Menschen verabscheuen diese Jahreszeit. Verfluchen sie sogar. Für mich allerdings waren die anstehenden Monate ein Geschenk ... « Sie atmete hörbar aus.
    »Niemand fordert dich bei Eis und Schnee auf, Spaziergänge zu machen. Keiner wundert sich, warum du seit Tagen nicht zum Supermarkt gehst oder weshalb dein Platz am Kaffeetisch leer bleibt. Sag ihnen, dein Auto springt nicht an. Erzähl ihnen das Märchen von einer hartnäckigen Grippe. Und sie lassen dich in Ruhe.«
    Ihr Kinn zuckte und es drängte ihn, etwas zu erwidern. Leider fiel ihm beim besten Willen nichts ein. Zumindest nichts, das nicht nach einer hohlen Phrase geklungen hätte. Darum hielt er den Mund.
    »Dass es dir schwerfällt, morgens überhaupt aus dem Bett zu steigen, müssen sie nicht erfahren. Sie wollen es auch gar nicht. Für sie gibt es keinen Grund, deine Ausreden zu hinterfragen. Nicht aus Gleichgültigkeit oder Desinteresse. Es ist nicht so, dass sich deine Familie und Freunde nicht um dich sorgen. Sie akzeptieren deine Trauer. Sie bieten dir ein offenes Ohr, harren bei dir aus, reichen dir Taschentücher und bringen dir Suppe in Plastikschüsseln. Die ersten Tage – vielleicht sogar Wochen - darfst du ehrlich sein und dich in deinem Schmerz vergraben. Aber dann erwarten sie, dass du dich fängst. Ihnen ins Gesicht schaust und mit einem »wird schon« antwortest, statt sie mit der Wahrheit zu belasten. Schließlich geht ihr Leben weiter. Füge dich wieder in den Strom ein oder gib ihnen die Möglichkeit, sich ohne schlechtes Gewissen von dir zurückzuziehen.«
    Eine Träne beschwerte ihre Wimpern. Ihm schnürte sich die Kehle zu und in einer halbherzigen Geste hob er die Hand. Selbst auf die Gefahr hin, dass lediglich plattes Gewäsch herauskommen würde - er konnte nicht länger schweigend dasitzen. Er musste ihr wenigstens ansatzweise begreiflich machen, dass ihre Trauer ihn erreichte.
    »Der Verlust Ihres Mannes muss schrecklich für Sie gewesen sein«, zwang er seine pelzige Zunge unter Protest hervorzuwürgen. »Sie
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