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Todesengel (Gesamtausgabe)

Todesengel (Gesamtausgabe)

Titel: Todesengel (Gesamtausgabe)
Autoren: H.L. WEEN
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dass es bis zum Zielbahnhof nur vier Stationen waren. Trotzdem war ihr von den Ausdünstungen der anderen Fahrgäste immer noch übel, als sie durch den Schnee nachhause stapfte und sich vornahm, ihren Wagen möglichst schnell wieder flott zu bekommen, damit sie nicht länger auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen war.
    Neben der Übelkeit machte ihr zu schaffen, dass sie den Abend allein verbringen würde. Mit der Vergesslichkeit der Kollegen, die ihr nicht zum Geburtstag gratuliert hatten, konnte sie notfalls leben, weil sie für die von der Volkspolizei übernommenen Beamten eine Fremde geblieben war, ein Spitzel aus dem Westen, der auf sie aufpassen sollte. Aber dass ihre Eltern trotz des runden Geburtstages der Tochter in den Wintersport gefahren waren und nicht einmal die Mannschaftskameradinnen ihr Kommen angekündigt hatten, schmerzte sie sehr. Vor einiger Zeit hatte sie in einer psychologischen Abhandlung gelesen, dass Menschen nirgendwo so einsam waren wie in einer Großstadt und wenn sie an das Heer der unfreiwilligen Singles dachte, die vielen Menschen, die mit leeren, ausdruckslosen Gesichtern durch die Straßenschluchten des Molochs Berlin hetzten, immer auf der Hut vor Taschendieben, Betrügern und anderem Gesindel, erschien ihr diese These sogar schlüssig. Vor ihrem Wohnhaus lief sie einer greisen Nachbarin in die Arme und freute sich, wieder ein paar Worte mit einem Menschen wechseln zu können, nahm der alten Dame die Einkaufstasche ab und versprach ihr, sie bis zur vierten Etage zu begleiten, bat sie im Hausflur, als sie die Post aus dem Briefkasten nahm, um ein wenig Geduld und hakte sich dann bei der alten Frau ein, um ihr das Treppensteigen zu erleichtern.
    In ihrer Wohnung angekommen, freute sich wenigsten der Stubentiger auf sie und deshalb versorgte sie ihn zunächst mit dem Nötigsten, bevor sie sich an die Post machte. Zwei Briefe und fünf Glückwunschkarten hielt sie in ihrer Hand, darunter eine vom Vorsitzenden des Handballvereins und eine von ihren Eltern und bald hatte sie, bis auf ein unbeschriebenes Kuvert, die gesamte Post durch. Sie fragte sich, was in dem Umschlag sein mochte, dachte einige Sekunden sogar an eine Briefbombe und wollte ihn schon wegwerfen, als doch noch ihre Neugier siegte und sie ihn mit spitzen Fingern öffnete. Drinnen befand sich ein Zettel und als sie ihn endlich auseinandergefaltet hatte, schrien sie die aus einer Zeitung herausgeschnittenen Buchstaben geradezu an:
    HEUTE STIRBT ER!
    Mirjam begann, wie Espenlaub zu zittern, wünschte sich erst, nie geboren worden zu sein und dann, nur zu träumen, was sie vor sich sah. Doch sie schlief nicht und würde aus ihrem Alptraum nicht mit Herzrasen, ansonsten aber unbeschadet erwachen, sondern sich der Realität stellen, mit der Situation zurechtkommen müssen, die sie selbst heraufbeschworen hatte. Entgegen ihren Erwartungen hatten die Frauen von der Jungfräulichen Rache den ihnen erteilten Mordauftrag für bare Münze genommen und sich die Hinrichtung, wie es sich für ein furioses Finale gehörte, für den Geburtstag ihrer Auftraggeberin aufgespart! Jetzt werde ich auch zur Mörderin, ging es Mirjam durch den Kopf und sie suchte verzweifelt nach einem Ausweg aus dem Dilemma, in dem sie steckte. Natürlich konnte sie ihre alten Kollegen anrufen und sich nach den Adressen der Frauen erkundigen, aber das würde die Ermittler vielleicht doch noch auf die Spur der Racheengel bringen und das wollte sie auf keinen Fall. Aber vielleicht tagten sie gerade in der Motzstraße, gingen im Kolibri noch einmal durch, wie sie Sauerbrei ins Jenseits befördern würden? Hektisch suchte sie nach der Telefonnummer des Lokals, fand sie nach einiger Zeit bei den Stricksachen in der Abstellkammer und rief das Restaurant an, erreichte aber nur die Wirtin, die ihr mitteilte, dass Debbie und die anderen Frauen schon lange nicht mehr bei ihr verkehrten. Mirjam überlegte fieberhaft weiter und endlich fiel bei ihr der Groschen! Sie musste sich über das Internet mit den Racheengeln in Verbindung setzen! Leider hatte ihr Computer immer noch keinen Netzanschluss, sodass sie jetzt darauf angewiesen war, das Internetcafé in der Urbanstraße aufzusuchen, in dem meist nur arbeitslose Jugendliche herumhingen und die Zeit totschlugen. Oder sollte sie Sauerbrei anrufen und ihn vor dem geplanten Mordanschlag warnen? Sie war drauf und dran, zum Telefon zu greifen und die Nummer des Patenonkels zu wählen, doch dann dachte sie an die Folgen
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