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Das Doppelspiel

Das Doppelspiel

Titel: Das Doppelspiel
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Die schwarze ›Wolga‹-Limousine hielt mit einem Ruck. Staub quoll unter den plötzlich gebremsten Rädern auf und zog als gelbe Wolken an den Fenstern vorbei. Der Fahrer, ein Unteroffizier der Roten Armee, Sektion Ukraine III, drehte den Kopf nach hinten und straffte den Oberkörper. Seine Hände lagen auf den Oberschenkeln.
    »Wir sind da, Genosse Major«, sagte er militärisch knapp.
    »Hier?« Der Mann im Fond der Limousine starrte aus dem Fenster. »Wir haben uns nicht verfahren, Petros Jakowlowitsch?«
    »Ich habe den Befehl, den Genossen Major hier abzusetzen.« Der Unteroffizier blickte wieder nach vorn und schwieg. Recht hat er, dachte er, sich zu wundern. Wer täte das nicht? Man sagt zu ihm: Sie werden versetzt, mein lieber Andrej Nikolajewitsch. Ein ehrenvolles Kommando … und wo landet man? Mitten in einer hügeligen, total einsamen Gegend mit hartem Gras, ein paar Weiden und Birken, Holunderbüschen und Buschwindröschen. Weit und breit kein Mensch, kein Stück Vieh, keine Pferde, kein Traktor, nicht einmal ein Lamm … rein gar nichts als ein Land mit Hügeln und verstepptem Gras. Aber das hätte man vielleicht ertragen können. Viel trostloser noch war der hier völlig deplazierte, über drei Meter hohe und – wie Warnschilder verkündeten – elektrisch geladene Stacheldrahtzaun, der einsam das Gelände durchschnitt. Von Horizont zu Horizont, nur ein Drahtzaun. Dahinter ein kahler Streifen, vielleicht fünfzig Meter tief, gerodet, gepflügt, geeggt, und erst dann wieder ein paar Büsche und Birken. Auch der Dümmste, auch so einer, der mangels anderer Gegenstände Wasser aus seinem Schuh trinkt, wußte: Dieser kahle Streifen ist der Tod! Hier haben sie Minen eingegraben, die einen in die Luft schleudern und in Fetzen wieder herunterregnen lassen. Hier stehen irgendwo raffinierte Selbstschußapparate, die von unsichtbaren Kontakten ausgelöst werden. Hier klingelt es sofort in unsichtbaren Erdbunkern Alarm, wenn jemand tatsächlich den Zaun überwinden kann und diese höllischen fünfzig Meter betritt. Kein Durchkommen, Genossen! Sieben Kaninchen und vier Maulwürfe hatten es schon versucht … es krachte infernalisch, die armen Tierchen zerfielen in kleine Stückchen, und dann hatten einige abkommandierte Spezialisten Mühe, die detonierten Minen wieder zu ersetzen. Aber seitdem gab es keine Kaninchen und Maulwürfe mehr in der Gegend … es sprach sich sogar bei den Tieren herum: Bleibt weg von diesem Zaun!
    Major Andrej Nikolajewitsch Plenjakow stieg aus dem ›Wolga‹ und zog seinen Koffer aus braungrünem Leinen von dem Rücksitz. Er stellte ihn neben die Limousine und nahm die Schirmmütze ab, um mit einer Drehung seines Handrückens den Schweißrand abzuwischen. Vor ihm lagen der Todesstreifen und die stille Einsamkeit. In den Drahtzaun war ein zweiflügeliges Tor eingelassen, am rechten Eisenpfahl hing ein kleiner, blecherner, grünlackierter Kasten. Das Türchen war mit einem einfachen Riegel verschlossen.
    Plenjakow, der drei Schritte vorwärtsgegangen war, sah sich nach dem schwarzen ›Wolga‹ um. Unteroffizier Petros Jakowlowitsch, ein kleiner Mann mit dem undurchdringlichen Gesicht eines Kirgisen, war nun auch ausgestiegen und holte aus dem Kofferraum das weitere Gepäck: die Kalaschnikow-Maschinenpistole, in einem erdbraunen Leinenfutteral, einen Gepäcksack und einen Karton, in dem – Petros hatte nicht schlecht gestaunt – sich ein Transistorradio und ein Plattenspieler befanden. Dazu Schallplatten. Beethoven, Wagner, Verdi, Meyerbeer, Bruckner, und natürlich Chopin, Tschaikowskij, Glinka, Mussorskij, Prokofieff, Rimskij-Korsakow und Borodin. Petros trug alles an das elektrisch geladene Drahttor und baute es neben Plenjakow auf.
    »Haben Sie noch Wünsche, Genosse Major?« fragte er, als Plenjakow stumm, mit zusammengezogenen Brauen, über das Land blickte.
    »Nein, Petros Jakowlowitsch. Doch ja, noch eine Frage: Haben Sie schon öfter Genossen hier abgeladen?«
    »Viermal, Genosse Major.«
    »Und wie haben die sich benommen?«
    »Sie haben sich gewundert wie Sie.«
    »Mehr wissen Sie nicht?«
    »Nein.«
    »Was ist jenseits der Hügel?«
    »Darüber habe ich nie nachgedacht, Genosse Major. Wozu auch? Man strengt sich an und weiß nachher doch nichts. Außerdem: Was geht's uns an? Hier ist ein Stück Welt zu Ende. Drüben beginnt ein anderes Stück, aber nicht für uns. Wozu sich Gedanken machen? Die das hier angelegt haben, werden sich sicherlich was dabei gedacht
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