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Todesdämmerung

Todesdämmerung

Titel: Todesdämmerung
Autoren: Dean R. Koontz
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Maden zerfressenen Golden Retriever vorzufinden, sondern weil ihm die Vorstellung zusetzte, keinen zu finden.
    Vielleicht sollte er jetzt Schluß machen, das Grab wieder auffüllen und weggehen. Vielleicht war es nicht wichtig, wer oder was Joey Scavello war.
    Schließlich gab es Theologen, die argumentierten, der Teufel sei ein gefallener Engel und deshalb dem Wesen nach gut, in keiner Hinsicht böse, sondern nur anders als Gott.
    Plötzlich erinnerte er sich an etwas, das er auf dem College gelesen hatte, ein Zitat von Samuel Butler, das er sehr schätzte: Man darf nicht vergessen, daß wir nur die eine Seite des Falles gehört haben. Gott hat alle Bücher geschrieben.
    Die Nacht roch nach feuchter Erde.
    Der Mond sah zu.
    Schließlich stemmte er den Deckel des kleinen Sarges hoch.
    In seinem Inneren lag ein Sack mit einem Reißverschluß. Zögernd streckte er sich neben dem Grab aus, griff hinunter und legte die Hände auf den Sack. Er spielte ein makaberes Blinde-Kuh-Spiel, erforschte die Konturen des Dinges im In neren des Sackes und überzeugte sich mit der Zeit, daß es sich um den Kadaver eines Hundes etwa in der Größe eines ausgewachsenen Golden Retriever handelte.
    Also gut. Das reichte. Hier war der Beweis, den er gebraucht hatte. Der Himmel wußte, warum er geglaubt hatte, ihn zu brauchen, aber hier war er. Er hatte das Gefühl gehabt, daß etwas ihn drängte, die Wahrheit ausfindig zu ma chen. Ihn hatte nicht nur Neugierde getrieben, sondern auch ein Zwang, der von außen zu kommen schien, ein mo tivierender Drang, von dem mancher vielleicht gesagt hätte, daß es die Hand Gottes war, die ihn schob, aber den er vorzog, weder zu analysieren noch zu definieren. Die letzten paar Wochen waren von jenem Drang geformt gewesen, von einer inneren Stimme, die ihn zwang, den Tierfriedhof aufzusuchen. Schließlich hatte er sich dem Zwang gebeugt, hatte sich auf dieses alberne Vorhaben eingelassen, und was er gefunden hatte, war nicht etwa der Beweis für ein Komplott der Hölle, sondern vielmehr die Bestätigung seiner eigenen Unvernunft. Obwohl in dem Tierfriedhof niemand war, der ihn sehen konnte, trieb ihm die Verlegenheit die Röte ins Gesicht. Brandy war nicht aus dem Grab zurückgekehrt. Chewbacca war ein ganz anderer Hund. Es war dumm gewesen, etwas anderes zu argwöhnen. Dies war ein hinreichender Beweis für Joeys Unschuld. Es hatte keinen Sinn, den Sack zu öffnen und sich selbst zu zwingen, die widerwärtigen Überreste zu betrachten.
    Er fragte sich, was er getan hätte, wenn das Grab leer gewesen wäre. Hätte er dann den Jungen töten müssen, den Antichrist vernichten, die Welt vor dem Armageddon bewahren? Er hätte nichts dergleichen tun können, selbst wenn ihm Gott im wallenden weißen Gewand erschienen wäre, mit feurigem Bart und mit dem Todesbefehl auf steinernen Tafeln. Seine eigenen Eltern waren Kindesmißhandler gewesen und er das Opfer. Das war das Verbrechen, das ihn am meisten empörte - ein Verbrechen gegen ein Kind. Selbst wenn das Grab leer gewesen wäre, selbst wenn ebendiese Leere ihn überzeugt hätte, daß Grace Spivey in bezug auf Joey recht gehabt hatte, hätte Charlie dem Jungen nichts antun können. Er konnte nicht seine eigenen kranken Eltern dadurch übertreffen, indem er ein Kind tötete. Eine Weile würde er vielleicht mit der Tat leben können, weil er sich sicher fühlen würde, daß Joey mehr als nur ein kleiner Junge war, daß er ein böses Wesen war. Aber dann würden im Laufe der Zeit Zweifel in ihm aufsteigen. Er würde anfangen zu glauben, daß er sich das unerklärliche Verhalten der Fledermäuse nur eingebildet hatte, und das leere Grab würde dann weniger Bedeutung haben, und all die anderen Zeichen und Omen würden ihm dann wie Sinnestäuschungen und Selbstverblendung erschienen sein. Er würde anfangen, sich selbst einzureden, daß Joey nicht dämonisch war, nur begabt, daß er keine übernatürlichen Kräfte besaß, sondern lediglich psychische Fähigkeiten. Er würde unausweichlich zu dem Schluß gelangen, daß er nichts Böses getötet hatte, daß er ein ungewöhnliches, aber völlig unschuldiges Kind getötet hatte. Und dann würde, zumindest für ihn, die Hölle auf Erden zur Realität werden.
    Er lag mit dem Gesicht nach unten auf dem kühlen, feuchten Boden.
    Er starrte in das Hundegrab.
    Das in Segeltuch gehüllte Bündel wurde von gelblichen Fichtenbrettern eingerahmt. Es war ein völlig schwarzes Bündel, in dem sich alles mögliche befinden konnte,
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