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Todesdämmerung

Todesdämmerung

Titel: Todesdämmerung
Autoren: Dean R. Koontz
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einzige Beziehung in Christines Leben, die eigentlich verrückt gewesen war, das einzige Mal, daß sie sich wirklich hatte hinreißen lassen. Sie hatte sich eingeredet, daß das Romantik war, nicht nur Liebe, sondern die Große Liebe, sogar die Liebe-auf-den-erstenBlick. In Wirklichkeit war sie einfach nur schwach und verletzbar gewesen und förmlich darauf erpicht, sich selbst zum Narren zu machen. Später, als sie erkannte, daß Mr. Wunderbar sie angelogen und sie in Wirklichkeit nur ausgenutzt hatte, ohne jede Rücksicht auf ihre Gefühle, kalt und zynisch, hatte sie sich zutiefst geschämt. Und dann wurde ihr nach einer Weile klar, daß es einen Punkt gab, wo Scham und Selbstvorwürfe zu etwas wie Selbstmitleid wurden, und das war fast genausoschlimm wie die Sünde, die diese Gefühle ausgelöst hatte; also verdrängte sie die jämmerliche Episode und gelobte sich, sie zu vergessen.
    Nur daß Joey immer wieder fragte, wer sein Vater war, wo sein Vater war, warum sein Vater sie verlassen hatte. Und wie konnte man einem Sechsjährigen etwas von triebhaftem Verhalten erklären und davon, wie einen das eigene Herz täuschen konnte, und von der eigenen bedauernswerten Fähigkeit, sich gelegentlich völlig zum Narren zu machen? Und wenn man das konnte, hatte sie es jedenfalls noch nicht begriffen. Sie würde einfach warten müssen, bis er groß genug war, um begreifen zu können, daß Erwachsene manchmal genauso dumm und konfus wie kleine Kinder sein konnten. Und bis zu dem Zeitpunkt hielt sie ihn mit vagen Antworten und Ausflüchten hin, die sie beide nicht befriedigten.
    Sie wünschte sich nur, er würde nicht so verloren, so klein, so verletzbar aussehen, wenn er nach seinem Vater fragte. Ihr war dann jedesmal zum Heulen.
    Die Verletzbarkeit, die sie in ihm wahrnahm, bedrückte sie. Er war nie krank; ein außergewöhnlich gesundes Kind war er, und dafür war sie dankbar. Trotzdem las sie alle Zeitschriftenartikel über Kinderkrankheiten, nicht nur über Mumps und Masern und Windpocken — dagegen und gegen einige andere hatte sie ihn impfen lassen —, sondern über schreckliche, unheilbare Krankheiten, die zwar nur selten auftraten, aber gerade deshalb besonders erschreckend waren. Sie prägte sich die Frühsymptome hundert exotischer Krankheiten ein und hielt beständig Ausschau, ob die se etwa an Joey auftraten. Natürlich holte er sich wie jeder andere aktive Junge all die Aufschürfungen und Schrammen, die es zu holen gab, und der Anblick seines Blutes jagte ihr immer wieder eine Höllenangst ein, selbst wenn es nur ein einziger Tropfen aus einer kleinen Hautabschürfung war. Ihre Sorge um Joeys Gesundheit war beinahe zwanghaft, aber sie ließ es nie zu, daß wirklich etwas Zwanghaftes daraus wurde, weil sie die psychologischen Probleme kannte, die eine übermäßig besorgte Mutter in einem Kind hervorrufen konnte.
    An jenem Sonntagnachmittag im Februar, als plötzlich der Tod vor Joey trat und ihn angrinste, geschah das nicht in Gestalt von Viren und Bakterien, um die Christine sich Sorgen machte. Es war einfach nur eine alte Frau mit strähnigem grauem Haar, einem blassen Gesicht und grauen Augen in der Farbe von schmutzigem Eis.
    Als Christine und Joey das Einkaufszentrum durch Bullock's Warenhaus verließen, war es fünf Minuten nach drei. Die Sonne spiegelte sich im Chrom der Automobile und in den Windschutzscheiben von einem Ende des breiten Parkplatzes bis zum anderen. Ihr silbergrauer Pontiac Firebird stand in der vordersten Reihe von Bullock's auf dem zwölften Platz, und sie hatten ihn schon fast erreicht, als die alte Frau auftauchte.
    Sie trat zwischen dem Firebird und einem weißen Ford Combi hervor, stellte sich ihnen direkt in den Weg.
    Auf den ersten Blick wirkte sie gar nicht bedrohlich. Ein wenig seltsam war sie zwar, aber auch nicht mehr als das. Ihre schulterlange graue Mähne wirkte vom Wind zerzaust, obwohl nur eine milde Brise über den Parkplatz wehte. Sie war um die Sechzig, vielleicht sogar Anfang der Siebzig, vierzig Jahre älter als Christine, aber ihr Gesicht zeigte keine tiefen Falten, und ihre Haut war glatt wie die eines Babys; sie hatte die unnatürliche Aufgedunsenheit an sich, wie sie häufig von Cortisonspritzen herrührte. Eine spitze Nase. Kleiner Mund, dicke Lippen. Ein rundes Kinn mit einem Grübchen. Sie trug eine einfache Kette mit Türkisen, eine langärmelige grüne Bluse, einen grünen Rock, grüne Schuhe. Sie hatte acht Ringe an den plumpen Händen, alle grün:
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