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Todesdämmerung

Todesdämmerung

Titel: Todesdämmerung
Autoren: Dean R. Koontz
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sterben!« schrie die Alte. Sie schmetterte ihre blasse Faust mit solcher Kraft gegen die Scheibe, daß sie fast zerbrochen wäre.
    Was ich hier erlebe, kann nicht wahr sein, dachte Christine. Nicht an einem sonnigen Sonntag. Nicht im friedlichen Costa Mesa.
    Wieder schlug die alte Frau gegen die Scheibe.
    »Er muß sterben!«
    Ihr Speichel bespritzte das Glas.
    Christine hatte jetzt den Vorwärtsgang eingelegt und fuhr, aber die alte Frau ließ nicht los. Christine beschleunigte. Die alte Frau hielt immer noch den Türgriff fest, rutschte und rannte und stolperte neben dem Wagen her, drei Meter, fünf Meter, zehn Meter, schneller, immer schneller. Herrgott, war das überhaup ein Mensch? Woher nahm eine so alte Frau die Kraft und die Hartnäckigkeit, sich so festzu klammern? Sie grinste verzerrt durch die Seitenscheibe herein, und in ihren Augen war eine solche Wildheit, daß es Christine nicht überrascht hätte, wenn die alte Hexe trotz ihres Alters und ihres Aussehens die Tür abgerissen hätte. Aber dann ließ sie endlich mit einem zornigen Aufschrei los.
    Am Ende der Reihe bog Christine nach rechts. Sie fuhr viel zu schnell durch den Parkplatz, und so befanden sie sich weniger als eine Minute später auf der Bristol Street und rollten nach Norden.
    Joey weinte immer noch, wenn auch jetzt nicht mehr so laut.
    »Alles ist gut, mein Kleiner. Jetzt ist alles in Ordnung. Sie ist nicht mehr da.«
    Sie fuhr zum MacArthur Boulevard, bog nach rechts, fuhr drei Straßen weiter und sah immer wieder in den Rückspiegel, um zu sehen, ob sie verfolgt wurden, obwohl sie wußte, daß diese Gefahr nicht drohte. Schließlich hielt sie am Randstein an.
    Sie zitterte und hoffte, daß Joey es nicht bemerkte.
    Sie zog ein Kleenex aus der kleinen Schachtel auf der Mittelkonsole und sagte: »Da, Honey. Wisch dir die Augen ab. Schneuz dich und sei tapfer. Okay?«
    »Okay«, sagte er und nahm das Papiertaschentuch.
    Gleich darauf war seine Fassung wiederhergestellt.
    »Fühlst du dich jetzt besser?« fragte sie.
    »Mhm. Irgendwie.«
    »Angst?«
    »Vorhin schon.«
    »Aber jetzt nicht mehr?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Weißt du«, sagte Christine, »in Wirklichkeit hat sie all die bösen Sachen gar nicht ernst gemeint.«
    Er sah sie verwirrt an. Seine Unterlippe zitterte, aber seine Stimme klang wieder gleichmäßig. »Warum hat sie es dann gesagt, wenn sie es nicht so gemeint hat?«
    »Nun, sie konnte eben nicht anders. Die alte Frau ist krank.«
    »Du meinst... krank, so wie erkältet?«
    »Nein, Honey. Ich meine... geisteskrank. Gestört.«
    »Du meinst, sie hat 'ne Meise, hm?«
    Den Ausdruck hatte er von Val Gardner, Christines Ge schäftspartnerin. Das war das erste Mal, daß sie den Ausdruck bei ihm hörte, und sie fragte sich, ob er sich vielleicht noch mehr solcher Ausdrücke aus derselben Quelle angeeignet hatte.
    »Hat sie 'ne Meise gehabt, Mama? War sie verrückt?«
    »Geistesgestört, ja.«
    Er runzelte die Stirn.
    »Damit versteht man das auch nicht leichter, hm?« sagte sie.
    »Nee. Was heißt verrückt schon in Wirklichkeit, wenn es nicht bedeutet, daß man in eine Gummizelle gesperrt wird? Und selbst wenn sie eine verrückte alte Lady war, warum war sie dann so wütend auf mich? Hm? Ich hab' sie doch noch nie gesehen.«
    »Nun...«
    Wie erklärt man einem Sechsjährigen psychisch anomales Verhalten? Sie wußte nicht, wie sie es anpacken sollte, höchstens auf geradezu lächerlich vereinfachende Weise; aber in diesem Fall war eine vereinfachende Antwort besser als keine.
    »Vielleicht hatte sie selbst mal einen kleinen Jungen, einen, den sie sehr lieb gehabt hatte, aber vielleicht war es kein kleiner braver Junge wie du. Vielleicht ist er mit den Jahren sehr böse geworden und hat eine Menge schlimmer Sachen getan, die seiner Mutter das Herz gebrochen haben. So etwas könnte... sie ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht haben.«
    »Und deshalb haßt sie vielleicht jetzt alle kleinen Jungs, ob sie sie nun kennt oder nicht«, sagte er.
    »Ja, vielleicht.«
    »Weil sie sie an ihren eigenen kleinen Jungen erinnern? Ist es das?«
    »Ja, das ist es.«
    Er dachte einen Augenblick darüber nach und nickte dann. »Mhm. Das kann ich mir irgendwie vorstellen.«
    Sie lächelte ihm zu und zerzauste ihm das Haar. »Hey, ich sag' dir was — fahren wir doch zu Baskin-Robbins und kaufen dir ein Eis. Ich glaube, die bieten gerade Eis mit Erdnußund Schokoladengeschmack an. Das magst du doch, oder?«
    Er war sichtlich überrascht. Sie
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