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Todesdämmerung

Todesdämmerung

Titel: Todesdämmerung
Autoren: Dean R. Koontz
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aufzusetzen. Ob wohl seine Kräfte vorher dafür nicht ausgereicht hatten, fiel es ihm jetzt bemerkenswert leicht. Der Schmerz, der von der Kugelwunde an seiner Schulter ausstrahlte, hatte geradezu dramatisch nachgelassen — was ihn sehr überraschte — und war jetzt nur noch ein dumpfes Pochen, das ihn kaum beeinträchtigte. Seine anderen Verletzungen bereiteten ihm noch einiges Unbehagen, aber auch sie wa ren nicht mehr so lästig und zehrten auch nicht mehr so an seiner Energie wie vorher. Er fühlte sich irgendwie... neu belebt... und wußte, daß er sich am Leben würde festklammern können, bis das Rettungsteam eingetroffen war, sie aus der Höhle geholt und in ein Krankenhaus gebracht hatte.
    Er fragte sich, ob er sich wegen Joey besser fühlte. Der Junge war zu ihm gekommen, hatte die Hand auf ihn gelegt, und er hatte ein paar Minuten geschlafen; als er wieder zu sich gekommen war, war er teilweise geheilt. War das eine der Kräfte des Kindes? Wenn ja, dann war es eine unvollkommene Kraft, denn Charlie war nicht ganz oder nicht einmal zum größten Teil geheilt; die Schußwunde hatte sich nicht geschlossen; seine Aufschürfungen waren nicht verblaßt. Gerade die Unvollkommenheit seiner Heilkraft — wenn sie überhaupt existierte — schien für die psychische Erklärung zu sprechen, die Barlowe erwähnt hatte. Ihre Unzulänglichkeit deutete darauf, daß es eine Kraft war, derer Joey sich nicht bewußt war, eine paranormale Fähigkeit, die sich auf völlig unbewußte Art ausdrückte. Und das bedeutete, daß er einfach nur ein kleiner Junge mit einer besonderen Gabe war. Denn wenn er der Antichrist war, würde er unbeschränkte Wunderkraft besitzen und würde sowohl seine Mutter als auch Charlie schnell und ganz heilen. Oder nicht? Sicher. Sicher würde er das.
    Chewbacca kehrte zu Charlie zurück.
    In den Ohren des Hundes war immer noch verkrustetes Blut.
    Charlie starrte ihm in die Augen.
    Dann streichelte er ihn.
    Die Schußwunde an Christines Bein hatte zu bluten aufgehört und tat nicht mehr weh. Sie hatte jetzt wieder einen klaren Kopf. Und mit jeder verstreichenden Minute wußte sie ihr Überleben mehr zu schätzen, das sie jetzt nicht mehr dem Eingreifen übernatürlicher Kräfte zuschrieb, sondern ihrer unglaublichen Entschlossenheit. Selbstvertrauen stellte sich wieder bei ihr ein, und sie begann wieder an die Zukunft zu glauben.
    Ein paar Minuten lang, als sie blutüberströmt und hilflos dagelegen war und Grace Spivey sich drohend vor Joey aufgebaut hatte, hatte Christine einer für sie völlig uncharakteristischen Verzweiflung nachgegeben. Sie war in so bedrückter Stimmung gewesen, daß sie, als die Fledermäuse auf die Schüsse reagiert und Spivey angegriffen hatten, sogar kurz überlegt hatte, ob Joey nicht vielleicht doch das war, was Spivey behauptete. Du lieber Gott! Jetzt, wo Barlowe unterwegs war, um Hilfe zu holen, die schlimmsten Schmerzen vorüber waren und in ihr die Überzeugung wuchs, daß sie und Charlie überleben würden, jetzt, wo sie zusah, wie Joey etwas ungeschickt neue Zweige ins Feuer legte, konnte sie sich nicht mehr vorstellen, daß solch unvernünftige Ängste sie ergriffen hatten. Sie war so erschöpft und so schwach und so bedrückt gewesen, daß sie Spiveys verrückte Botschaft in sich aufgenommen hatte. Obwohl jener Augenblick der Hysterie vorüber war und in ihr wieder Gleichgewicht herrschte, trieb ihr die Erkenntnis, daß sie, wenn auch nur für kurze Zeit, Spiveys Wahnsinn ein offenes Ohr geschenkt hatte, eisige Schauder über den Rücken.
    Wie leicht das doch passieren konnte: Eine Verrückte verbreitet die Auswüchse ihrer kranken Fantasie unter den Leichtgläubigen, und bald gibt es einen hysteris chen Mob, oder in diesem Fall einen Kult, der daran glaubt, von den besten Absichten getrieben zu sein und sich deshalb mit stählerner Selbstgerechtigkeit gegen jeden Zweifel wappnet. Es gab das Böse, das war ihr klar: nicht in ihrem kleinen Jungen, sondern in der fatalen Neigung der Menschen, an bequeme Antworten zu glauben, selbst wenn sie irrational waren.
    Von der anderen Seite der Höhle fragte Charlie: »Vertraust du Barlowe?«
    »Ich denke schon«, sagte Christine.
    »Er könnte es sich auf dem Weg nach unten ja noch ein mal anders überlegen.«
    »Ich glaube, er wird Hilfe schicken«, sagte sie.
    »Wenn er es sich in bezug auf Joey anders überlegt, würde er nicht einmal zurückzukommen brauchen. Er könnte es einfach der Kälte und dem Hunger
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