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Tod von Sweet Mister

Tod von Sweet Mister

Titel: Tod von Sweet Mister
Autoren: D Woodrell
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Kreaturen Witze über andere kleine Kreaturen und klapperten mit ihren Nägeln auf der Baumrinde und huschten herum, sodass die Blätter rauschten und winkten, als würden sie auf ihre Art lachen. Irgendwo weiter weg murmelte ein Bach leise im verträumten Schlaf.
    »Sah er so aus wie ich?«
    »Nein. Aber aus irgendeinem Grund siehst du so aus wie er.«
    »Sind wir ähnlich gebaut?«
    »Wenn du noch fünf Zentimeter wächst, wirst du ihm so ähnlich sehen, dass es mir ein zweites Mal das Herz bricht.«
    Dieser Typ, der Baron, war eine Legende, die Glenda irgendwann kennengelernt hatte, bevor Red da war und ihr Leben bestimmte. Zumindest hatte ich es so gehört. Glenda sagte niemals rundheraus, dass dieser Kerl mein eigentlicher Vater sei, aber sie betonte immer, dass ich seinen Vornamen tragen würde. Ich mochte ihn nicht besonders: Morris.
    »Was tust du dann eigentlich mit Red?«
    Glenda stand langsam auf und reckte sich, stemmte die Hände unten in den Rücken, drehte die Schultern hin und her, stellte sich von der Straße abgewandt auf die Zehenspitzen, sodass sich die Beinmuskeln dehnten. Die Bluse war unter ihren Armen feucht vom Schweiß, und ihre Shorts waren vielleicht ein wenig zu kurz, um als mütterlich durchzugehen.
    »Hör mal«, sagte sie dann. »Du wirst es vielleicht nicht glauben, aber als ich Red Akins das erste Mal gesehen habe, sah er aus wie ein griechischer Gott. Verstehst du? Ein griechischer Gott, vielleicht ein bisschen zu klein, kleiner, als man sich die meisten griechischen Götter vorstellt, und seine Haare hatten bereits diese Farbe und waren auch schon ein wenig schütter, aber trotzdem, er war wie gemeißelt, so als ob irgendein Gottvater richtig Überstunden gemacht hätte, um ihn zu modellieren.«
    Ich warf den Brombeertrieb weg, den ich glatt geputzt hatte, und machte das Messer zu.
    »Er hat immer noch ziemlich Muskeln, Mom.«
    »Ja, das mag wohl sein. Ich denke schon. Aber bei seinen großen Muskeln denkt man nicht mehr an griechische Götter.«
    »Und wie sollen wir ihn noch länger aushalten?«
    »Tja«, meinte sie. »Tja.« Sie nahm einen Eimer und ging die Straße entlang, also nahm ich den anderen und folgte ihr. Als ich sie einholte, nahm ich ihr den Eimer ab und trug beide, sie schwangen unterhalb meiner fetten, aber doch irgendwie starken Arme hin und her. Die Eimer fühlten sich an wie Extraköpfe, die langen Griffe wie Haarsträhnen. Nachdem wir eine Weile die staubige Straße entlanggegangen waren, sagte sie: »Wenn du in dieser Welt hier aufwachst, Sweet Mister, dann musst du hellwach sein. Wenn du am Morgen zur Tür hinausspazierst, musst du hellwach sein, und zwar bis zum Abend, wenn die Lichter ausgehen. Hast du das verstanden?«
    »Ich glaub schon.«
    »Hm. Das werden wir ja sehen, irgendwann. Ich bin mir todsicher, dass der Augenblick kommen wird.«
    Meine Mom setzte den Männern Flausen in den Kopf. Mir auch, meinten manche. Sie hatte so einen Gang, ganz locker in den Gelenken, dass man einfach hinschauen musste, wenn sie vorbeilief, ganz egal wo: im Laden, in der Hintergasse, auf dem Rastplatz, auf der Landstraße. Granny meinte, Mom könnte schon ein »Hallo« so sündig klingen lassen, dass man am liebsten davonlaufen und sich die Ohren waschen wollte, nur um dann zurückzukehren, um es noch mal zu hören. Wenn ich an sie dachte, kam mir nie das Wort »sündig« in den Sinn. Sie war nur schön und lächelte gern, sodass die Kerle auf den Gedanken kamen, sie hätten gute Chancen bei ihr, wenn sie sich nur ein wenig anstrengten und sie an den richtigen Stellen kitzelten.
    An dem Beerentag kamen wir an den Bach, der die Schotterstraße an einer niedrigen Stelle kreuzte. Das war weit außerhalb der Stadt, noch hinter Venus Holler, und von dem Bach bis zum Lake’s Market war es sicher noch über eine Meile.
    Ich stellte die Eimer ab, und wir bespritzten uns gegenseitig mit Wasser. Es sah ganz so aus, als hätte meine Haut eine Menge Dornen von den Brombeerzweigen abbekommen, Glendas Rücken auch. Ich zog mein Hemd aus, sie beugte sich über den Bach, schöpfte Wasser mit den Händen, hob es an meinen Rücken und ließ es langsam über die blutigen Flecken rinnen. Das wiederholte sie ein paarmal, und es linderte die Schmerzen.
    »Du siehst aus, als würden alle Katzen dich hassen«, sagte sie.
    »Du hast auch Blutstropfen auf der Bluse, Glenda.«
    Dann hockte sie sich an den Bach, drückte die Knie in den Schlamm, ihr rabenschwarzes Haar ein wildes Durcheinander,
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