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Tod in den Anden

Tod in den Anden

Titel: Tod in den Anden
Autoren: Mario Vargas Llosa
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gesunken, und Lituma hörte, daß dem Bohrarbeiter die Zähne klapperten. Er sah, wie er in seiner Zwangsjacke zitterte und die Schultern hochzog.
    »Ich nehme an, du schläfst in der Baracke, die der huayco verschont hat«, sagte er, ihn am Ellenbogen fassend. »Ich begleite dich, Bruderherz. Gib mir deinen Arm, in dieser Finsternis und bei den vielen Löchern könnten wir uns die Birne anschlagen.«
    Sie bewegten sich langsam, schwankend und stolpernd durch die Dunkelheit, die die Myriaden von Sternen und das schwache Licht des Halbmondes nicht aufzuhellen vermochten. Nach wenigen Schritten merkte Lituma, daß der kleine Mann zusammenknickte und sich den Magen hielt.
    »Hast du Krämpfe? Übergib dich, das wird dir guttun. Komm, versuch’s, bis das Dreckzeug rauskommt. Ich helfe dir.«
    Der kleine Mann beugte sich nach vorne, und bei jedem Würgen lief ein Zittern durch seinen Körper. Lituma stand hinter ihm und hielt beide Hände auf seinen Magen gepreßt, wie er es oft bei den Unbezwingbarenin Piura getan hatte, wenn sie sturzbetrunken aus der kleinen Bar der Chunga gekommen waren.
    »Sie wollen ihn mir reindrücken«, protestierte der Arbeiter plötzlich mit lallender Zunge.
    »Das hättest du wohl gern«, sagte Lituma lachend.
    »Ich hab nichts für Männer übrig, du Trottel.«
    »Ich auch nicht«, schnaufte der andere, von Würgen unterbrochen. »Aber in Naccos wird man schwul und sogar Schlimmeres.«
    Lituma spürte heftiges Herzklopfen. Diesem Typ lag irgendwas schwer auf der Seele, und das wollte er auch ausspucken. Er wollte sich Luft machen, es jemandem erzählen.
    Schließlich richtete der Arbeiter sich auf, mit einem Seufzer der Erleichterung.
    »Mir geht’s schon besser.« Er breitete die Arme aus und spuckte auf den Boden. »Scheißkalt ist es hier.«
    »Sogar das Gehirn friert einem ein«, nickte Lituma.
    »Besser, wir bewegen uns.«
    Sie hakten sich wieder unter und gingen weiter, jedesmal fluchend, wenn sie über einen Stein stolperten oder ihre Füße im Morast versanken. Schließlich erschien die massige Form der Baracke vor ihnen, kompakter als die Schatten in ihrer Umgebung. Man hörte den Wind auf den Berghöhen pfeifen, aber hier war alles still und ruhig. Bei Lituma hatte der Alkohol zu wirken aufgehört. Er fühlte sich klar und hellsichtig. Er hatte sogar Mercedes und Tomasito vergessen, die sich dort oben im Posten aussöhnten, und Meche, wiesie vor vielen Jahren gewesen war, in der kleinen Bar in den Sanddünen, die an das Fußballstadion von Piura grenzten. In seinem Kopf hämmerte eine Entscheidung: ›Ich muß es aus ihm rauskriegen.‹
    »Schön, rauchen wir eine Zigarette, Bruderherz«, sagte er. »Vor dem Schlafen.«
    »Bleiben Sie hier?« Auch der Rausch des Bohrarbeiters schien verflogen zu sein.
    »Ich bin zu faul, jetzt dort raufzusteigen. Außerdem möchte ich nicht das fünfte Rad am Wagen sein und das Pärchen stören. Ich nehme an, hier wird ein Bett übrig sein.«
    »Sie meinen Pritsche. Die Matratzen haben sie schon alle mitgenommen.«
    Lituma hörte Schnarchen im hinteren Teil der Baracke. Der kleine Mann ließ sich auf die erste Pritsche an der rechten Seite fallen, gleich neben der Tür. Mit Hilfe eines Streichholzes fand sich der Korporal zurecht: Es gab zwei Stockbetten neben dem, auf dem der Arbeiter lag. Er setzte sich auf das nächste. Er holte seine Schachtel heraus und zündete zwei Zigaretten an. Eine reichte er dem Arbeiter, während er mit freundlicher Stimme sagte:
    »Nichts Schöneres als eine letzte Zigarette im Bett, wenn man auf den Schlaf wartet.«
    »Ich bin vielleicht besoffen, aber ich bin nicht blöd«, sagte der Mann. Der Korporal sah, wie im Dunkeln die Glut der Zigarette aufleuchtete und empfing einen Mundvoll Rauch mitten ins Gesicht. »Warum sind Sie hiergeblieben? Was wollen Sie von mir?«
    »Erfahren, was mit den dreien passiert ist«, sagte Lituma sehr leise, überrascht über seine Kühnheit – verdarb er damit nicht alles? »Nicht, um irgend jemanden festzunehmen. Nicht, um irgendeinen Bericht an die Kommandantur in Huancayo zu schicken. Nicht aus dienstlichen Gründen. Nur aus Neugier, Bruderherz. Das schwör ich dir. Was ist mit Casimiro Huarcaya, Pedrito Tinoco und Medardo Llantac alias Demetrio Chanca passiert? Erzähl’s mir, während wir die letzte Zigarette rauchen.«
    »Nicht im Traum«, sagte der Mann mit heiserer Stimme und atmete heftig. Er bewegte sich auf der Pritsche, und Lituma kam der Gedanke, daß er sofort aufstehen
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