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Tod in den Anden

Tod in den Anden

Titel: Tod in den Anden
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Lautstärke explodierte, übertönte sie. Lituma schaute Doña Adriana an: Trotz ihres Hexenhaares und ihrer Schlampigkeit gab es an ihr bisweilen so etwas wie die Spur einer vergangenen Schönheit. Vielleicht stimmte es, vielleicht war sie in ihrer Jugend ein Prachtweib gewesen. Aber wie Mercedes konnte sie nicht gewesen sein, nicht wie diese Piuranerin, mit der sein Amtshelfer in diesem Augenblick vermutlich gerade im siebten Himmel schwebte. War sie Meche, oder war sie es nicht? Diese maliziösen, graugrün funkelnden Augen mußten ihre Augen sein. Bei einer solchen Frau konnte man Tomasitos Liebeswahn verstehen.
    »Wo ist der Gendarm Carreño?« fragte Señora Adriana.
    »Der badet gerade in herrlichen Gewässern«, antwortete er. »Sein Mädchen ist gekommen, aus Lima, und ich hab ihnen den Posten für ihre Flitterwochen überlassen.«
    »Sie ist allein nach Naccos gekommen? Dann ist sie aber eine sehr mutige Frau«, bemerkte Doña Adriana.
    »Und Sie, Sie sterben vor Neid, mein Herr Korporal«, sagte Dionisio.
    »Natürlich«, gab Lituma zu. »Denn obendrein ist sie auch noch eine Schönheitskönigin.«
    Der Wirt füllte die Gläser und schenkte ein weiteres seiner Frau ein. Einer der drei biertrinkenden Männer hatte begonnen, mit lauter Stimme zu dem huaynito zu singen, der aus dem Radio tönte: »Ach Taube, mein Täubchen . . .«
    »Eine Piuranerin.« Lituma fühlte eine angenehme innere Wärme, es war, als wäre jetzt alles weniger schlimm und wichtig als vorher. »Eine würdige Vertreterin der piuranischen Frau. Was für ein Schwein, daß sie dich ins Castilla-Viertel schicken, Tomasito! Prost, meine Herren!«
    Er trank einen Schluck und sah, daß Dionisio und Señora Adriana sich die Lippen befeuchteten. Sie wirkten vergnügt und zufrieden, daß der Korporal sich betrank, etwas, das er in all den Monaten, die er sich in Naccos befand, tatsächlich nicht getan hatte. Denn wie der Wirt sagte, der Abend des huayco zählte nicht.
    »Wie viele Leute sind noch im Lager?«
    »Nur zwei, die sich um die Maschinen kümmern. Und der eine oder andere Nachzügler«, sagte Dionisio.
    »Und Sie beide?«
    »Was sollen wir noch hier, wenn alle fortgehen«, erklärte der Kantinenwirt. »Ich bin zwar alt, aber ein geborener Globetrotter, ich kann überall arbeiten.«
    »Da auf der ganzen Welt getrunken wird, werden Sie immer einen Job finden.«
    »Und wenn sie nicht trinken können, bringen wir’s ihnen bei«, sagte Doña Adriana.
    »Vielleicht beschaffe ich mir einen Bären und richte ihn ab und geh wieder auf die Märkte, um meine Nummer vorzuführen.« Dionisio begann herumzuhüpfen und zu brummen. »Ich hatte einen, in jungen Jahren, der legte die Karten, fegte und hob den jungen Dingern die Röcke hoch.«
    »Hoffentlich treffen Sie nicht auf die Terroristen bei Ihren Wanderungen.«
    »Das wünschen wir Ihnen auch, mein Herr Korporal.«
    »Tanzen wir, Alte?«
    Einer der drei Männer hatte sich leicht schwankend genähert und Doña Adriana über die Theke hinweg die Hand entgegengestreckt. Sie kam, ohne etwas zu sagen, hervor, um mit ihm zu tanzen. Die beiden anderen Männer waren ebenfalls näher getreten und begleiteten den huayno mit Händeklatschen.
    »Sie nehmen also Ihre Geheimnisse mit auf den Weg.« Lituma suchte Dionisios Blick. »Wenn wir gleich schön voll sind, werden Sie mir dann sagen, was mit den dreien passiert ist?«
    »Das wär vergeblich.« Dionisio war noch immer dabei, einen schweren, tänzelnden Sohlengänger zu imitieren. »Durch den Rausch würden Sie später alles vergessen haben. Lernen Sie von diesen Freunden, und seien Sie fröhlich. Prost, mein Herr Korporal!«
    Er hob sein Glas, um ihn zu ermuntern, und Lituma trank mit ihm. Fröhlich sein war schwierig angesichts der Ereignisse. Aber obwohl die Besäufnisse der Indiosihm immer düster und schweigsam erschienen waren, beneidete der Korporal den Wirt, seine Frau und die drei biertrinkenden Arbeiter: kaum waren sie ein bißchen beschwipst, vergaßen sie all ihr Unglück. Er wandte sich zu dem tanzenden Paar um. Sie rührten sich kaum vom Fleck, der Mann war so betrunken, daß er sich nicht darum scherte, der Musik zu folgen. Mit dem Glas in der Hand, trat Lituma zu den beiden anderen.
    »Ihr seid wohl geblieben, um das Licht im Lager auszumachen«, sprach er sie an. »Kümmert ihr euch um die Maschinen?«
    »Ich bin Mechaniker, und die anderen sind Bohrarbeiter«, sagte der Älteste, ein kleiner Mann mit unverhältnismäßig großem Gesicht,
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