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Tod in den Anden

Tod in den Anden

Titel: Tod in den Anden
Autoren: Mario Vargas Llosa
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dessen Furchen wie Narben wirkten. »Wir gehen morgen und suchen uns einen Job in Huancayo. Das hier ist unser Abschied von Naccos.«
    »Selbst als es voll war, wirkte das Lager düster«, sagte Lituma. »Jetzt, wo es leer ist, wirkt es da nicht unheimlich mit den Steinbrocken des huayco und den zerstörten Baracken?«
    Er hörte ein mineralisches Lachen und einen halblauten Kommentar des anderen – ein jüngerer Mann mit einem knallblauen Hemd, das unter seinem grauen Pullover phosphoreszierte –, aber er wurde abgelenkt, denn der, der mit Doña Adriana tanzte, war über irgend etwas verärgert.
    »Warum läßt du mich nicht ran, Alte«, protestierteer mit quengelnder Stimme und versuchte, sich an die Frau zu pressen. »Oder wirst du mir jetzt sagen, daß dir das nicht gefällt? Was hast du bloß, alte Vettel.«
    Er war ein Mann von mittlerer Statur, mit einer sehr ausgeprägten Nase und ruhelosen, tiefliegenden Augen, die der Alkohol oder die Erregung zum Glühen brachten. Über dem ausgebleichten Overall trug er einen jener Alpaka-Pullover, wie ihn die Indiofrauen der Gemeinschaften anfertigen und auf den Märkten verkaufen, und darüber ein enges Sakko. Er wirkte wie gefangen in seiner Kleidung.
    »Schön ruhig, behalt die Hände bei dir, oder ich tanze nicht«, sagte Señora Adriana schließlich, ohne wütend zu werden, während sie ihn halb von sich wegdrückte und aus dem Augenwinkel Lituma beobachtete. »Eine Sache ist tanzen und eine andere das, was du willst, unverschämter Kerl.«
    Sie lachte, und die Biertrinker lachten ebenfalls. Lituma hörte das rauhe Lachen Dionisios hinter der Theke. Aber dem Mann, der tanzte, war nicht nach Lachen zumute. Er blieb schwankend stehen und drehte sich mit vor Wut glänzendem Gesicht zum Wirt um:
    »Los, Dionisio«, rief er laut, und Lituma sah in seinem ungestalten Mund einen grünlichen Schaumfleck, als würde er Koka kauen. »Sag ihr, sie soll tanzen! Frag die hier mal, warum sie nicht mit mir tanzen will!«
    »Sie will ja tanzen, aber du willst sie befummeln.«Dionisio lachte abermals, während er weiter mit Händen und Füßen tat, als wäre er ein Bär. »Das sind verschiedene Dinge, kapierst du das nicht?«
    Doña Adriana hatte sich wieder hinter die Theke gestellt, neben ihren Mann. Von dort aus, die Ellbogen auf die Bretter gestützt, das Gesicht in die Hände gelegt, verfolgte sie die Diskussion mit einem halben, festgefrorenen Lächeln, als hätte sie mit dem Ganzen nichts zu tun.
    Der Mann schien plötzlich das Interesse an seinem eigenen Zorn zu verlieren. Er stolperte auf seine Kollegen zu, die ihn festhielten, damit er nicht zu Boden fiel. Sie reichten ihm das Bier. Er nahm einen langen Schluck aus der Flasche. Lituma bemerkte, daß seine schmalen Augen funkelten und daß der Adamsapfel sich beim Trinken an seinem Hals von oben nach unten bewegte, wie ein kleines gefangenes Tier. Der Korporal stützte sich ebenfalls auf die Theke, gegenüber dem Wirt und seiner Frau. ›Ich bin schon betrunken‹, dachte er. Aber es war ein freudloser, seelenloser Rausch, ganz anders als seine Räusche in Piura mit seinen Kumpels, den Unbezwingbaren, in der kleinen Bar der Chunga. Und in diesem Augenblick war er sicher, daß sie es war. ›Sie ist es, sie ist es.‹ Dasselbe kleine Mädchen, das Josefino erobert hatte, das er verpfändet hatte, um weiter würfeln zu können, das man nie wieder gesehen hatte. Wieviel Wasser war seither den Fluß hinuntergeflossen, verdammt. Er war so auf seine Erinnerungen konzentriert, daß er nicht gemerkthatte, in welchem Augenblick der Typ, der Doña Adriana zu nahe treten wollte, sich neben ihn gestellt hatte. Wie wütend er aussah! Er forderte Dionisio in Boxerpose heraus:
    »Und warum ist es verboten, sie zu befummeln, wenn man mit ihr tanzt?« sagte er, auf die Bretter schlagend.
    »Warum? Auf, erklär mir das mal, Dionisio.«
    »Na, weil die Staatsgewalt hier ist«, erwiderte der Wirt, auf Lituma weisend. »Und vor der Staatsgewalt muß man sich benehmen.«
    Es sollte ein Scherz sein, aber Lituma bemerkte, wie immer, wenn Dionisio sprach, einen spöttischen und böswilligen Unterton in seinen Worten. Der Wirt schaute abwechselnd den Betrunkenen und ihn an, schmunzelnd.
    »Was heißt hier Staatsgewalt, komm mir doch nicht mit solchem Quatsch«, rief der Betrunkene, ohne Lituma einen Blick zu gönnen. »Hier sind wir alle gleich, und wenn jemand was hermachen will, dann scheiß ich drauf. Sagst du nicht immer, der Schnaps macht uns
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