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Tod im Weinkontor

Tod im Weinkontor

Titel: Tod im Weinkontor
Autoren: Michael Siefener
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ertragen könne und daher freiwillig aus dem Leben scheide.
Wenn aber der Pakt eine Fälschung war, warum dann dieser
Abschiedsbrief, der eindeutig von Ludwig selbst geschrieben war?
Etwas stimmte mit dem Schreiben nicht. Andreas sah von dem Text
auf und versuchte, die gewölbte Decke zu erkennen. Das Licht
des Kienspans reichte nicht bis hinauf, sodass er von
körperloser Schwärze umgeben war; nur der Boden wirkte
fest. Doch als er den Brief erneut las, wankte auch der Boden
unter ihm. Er fühlte sich, als stürze er ins
Nichts.
    Er hatte es gefunden.

 
DREI
     
     
    Aufgeregt stand Andreas vor dem großen Giebelhaus in der
Rheingasse, nicht weit vom Heumarkt entfernt. Einige Häuser
weiter rechts erhob sich das prächtige Overstolzenhaus, das
große, aber nicht erreichte Vorbild des
Bonenberg’schen Anwesens. Elisabeth Leyendecker war von
ihrem jüngeren Bruder vor mehr als einem Jahr an Heinrich
Bonenberg verheiratet worden. Bonenberg handelte
hauptsächlich mit Tuchen und Eisenwaren, hatte sich im
letzten Jahr aber auch verstärkt mit dem Weinhandel befasst.
Für Ludwig Leyendecker war die Hochzeit eine gute
Möglichkeit gewesen, seinen Einfluss in der Stadt auszubauen
und einen weiteren Verbündeten im Rat zu haben. Auch half
man sich manchmal gegenseitig mit Transportgefährten und
Eskorten aus. Das Leyendecker’sche Kontor setzte seinen
Wein, der überwiegend von der Mosel und aus der Pfalz
stammte, zum größten Teil in England ab, während
Bonenberg mit seinen Waren den norddeutschen Raum belieferte,
inzwischen aber auch versuchte, Wein von Rhein und Mosel in
England zu verkaufen. Neben all diesen Interessen zählte
natürlich eine so seltsame Regung wie Liebe nicht.
    Andreas wusste, dass Elisabeth ihrem Gatten gegenüber
eine gewisse Achtung und Dankbarkeit aufbrachte, die der junge
Kaplan nie verstanden hatte, denn Heinrich Bonenberg war ein
aufbrausender, jähzorniger und gewaltbereiter Mann. Doch wer
verstand schon die Frauen? Er schüttelte den Kopf und
betätigte den schweren Klopfer.
    Elisabeth empfing ihn in der Wohnstube im Erdgeschoss. Alles
hier atmete Reichtum: die Brokatkissen auf den
Scherenstühlen, die Wandbehänge aus Flandern, von denen
einige sogar als Bodenbelag dienten, die reich geschnitzten
Eichentruhen und überdies ein gewaltiger Stollenschrank, wie
ihn sonst nur die Adligen ihr Eigen nannten. Elisabeth saß
auf einem der bequem ausgepolsterten Stühle. Sie trug wieder
ein züchtig hochgeschlossenes Kleid und begrüßte
Andreas, der von einer der Mägde hereingeführt worden
war, mit einem Kopfnicken. Sobald die Magd jedoch das Zimmer
verlassen hatte, sprang sie auf und lief auf Andreas zu. Er hatte
schon befürchtet, sie würde ihm in die Arme fallen,
doch kurz vor ihm blieb sie stehen, offenbar selbst über
ihren Gefühlsausbruch verwirrt. Wie zur Warnung schlugen aus
der Ferne die Glocken von Sankt Maria im Kapitol die dritte
Stunde.
    »Ich freue mich über Euren Besuch«, sagte
Elisabeth atemlos. »Bringt Ihr Neuigkeiten?«
    »Allerdings.« Andreas griff unter seinen schwarzen
Priesterrock und zog ein zusammengefaltetes Pergamentblatt
hervor. Er ging zu dem kleinen Tisch unter dem Fenster und
breitete das Pergament darauf aus. »Das ist der
Abschiedsbrief Eures Bruders.«
    »Woher habt Ihr ihn?«, fragte Elisabeth
erschrocken.
    »Ich habe ihn aus dem erzbischöflichen
Archiv… entliehen. Es gab keine andere Möglichkeit.
Da die Akte geschlossen ist, wird niemand je den Verlust dieses
Briefes bemerken. Ich bin in ihm auf etwas gestoßen, das
ich Euch unbedingt zeigen wollte.« Er strich den Bogen mit
der breiten, ausladenden Handschrift glatt. »Es ist seine
Handschrift, nicht wahr?«
    Elisabeth stellte sich dicht neben ihn und beugte sich
über den Brief. Beinahe hätte sie Andreas berührt.
»Ja«, flüsterte sie. Sie schien mit den
Tränen zu kämpfen.
    Andreas las vor: »Hiermit bestätige ich, Ludwig
Leyendecker, in vollem Besitz meiner geistigen und
körperlichen Kräfte, dass ich aus dem Leben scheiden
werde. Seit ich mit dem Satan ein Verbündnis aufgerichtet
habe, bin ich meines Lebens nicht mehr froh geworden. Zwar hat er
mir, wie er versprochen hat, weltliche Güter im
Überfluss geschenkt, doch jeden Tag spüre ich den
Verlust meiner Seele stärker. Sic transit gloria mentis.
    Der einzige Ausweg, den ich sehe, ist der des Freitodes. Ich
bin verloren. Betet für mich.«
    Andreas schaute
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