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Tod im Weinkontor

Tod im Weinkontor

Titel: Tod im Weinkontor
Autoren: Michael Siefener
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erzbischöflichen Münze in der Mitte des
Platzes und den sie umstehenden Altrüschständen vorbei
und hielt auf das Rathaus zu. Der fünfgeschossige Turm mit
der hohen Kure, in der die Ratsglocke Sankt Michael hing, war
beinahe prächtiger als die Kirchtürme in seiner
Umgebung und daher vielen Geistlichen ein Dorn im Auge. Als
Andreas den Turm passiert hatte und sich im Gewirr der Gassen des
alten Judenviertels verlor, wünschte er, er könne sich
auch in Ort und Zeit, ja in sich selbst verlieren und so dem
Rätsel, das ihn immer enger umschlang und bedrückte,
entkommen.
    Ein unsinniger Wunsch.

 
VIER
     
     
    Das Haus in der Glockengasse brummte und summte vor
Geschäftigkeit. Weinfässer wurden von einem
großen Pritschenwagen, vor den zwei erschöpfte
Kaltblüter gespannt waren, abgeladen und durch den
Hofeingang gerollt, wobei die Knechte mit lauten Rufen ihre
Kommandos gaben. Barbara Leyendecker stand in der Hofeinfahrt und
überwachte das Ausladen. Andreas ging zu der Frau seines
verstorbenen Freundes hinüber und begrüßte sie
höflich.
    Sie sah ihn kaum an; der Wein schien ihr wichtiger zu sein.
Die Fässer wurden in das Lagergebäude mit den riesigen
Gewölben gerollt, von wo aus sie später auf die Reise
nach England gehen würden.
    »Wie ich sehe, kümmert Ihr Euch beachtenswert um
das Geschäft«, meinte Andreas vorsichtig.
    Barbara funkelte ihn mit ihren dunkelbraunen Augen feindselig
an. »Irgendjemand muss sich ja kümmern, wenn hier
nicht alles vor die Hunde gehen soll«, bemerkte sie
schnippisch. Sie und Andreas hatten sich noch nie gemocht. Das
schwarze Kleid machte Barbaras blasse Züge hart und ein
wenig grausam; die schöne Frau, die sie einmal gewesen war,
schien nun wie unter einem leichten Schleier der Trauer
verborgen.
    »Wo kommt dieser Wein her?«, fragte Andreas, der
einfach nicht wusste, was er sagen sollte. Er hatte so viele
Fragen an die Witwe, doch keine wollte ihm über die Lippen
kommen.
    »Von der Mosel.«
    »Um diese Jahreszeit?« Andreas kannte sich mit dem
Weinanbau nicht aus, doch immerhin wusste er, dass die Lese erst
im Herbst stattfand.
    »Wir haben die letzten Reste aus den Kellern der Winzer
aufgekauft«, erklärte Barbara, ohne den Blick von den
rollenden Fässern abzuwenden, die eines nach dem anderen im
Schlund des Lagerhauses verschwanden.
    »Gute Geschäfte?«, fragte Andreas.
    »Seit der Verhansung Kölns gehören wir zu den
wenigen, die den Londoner Stalhof mit deutschem Wein beliefern.
Man reißt ihn uns aus den Händen. Da müssen alle
Reserven aufgeboten werden. Im letzten Jahr haben wir über
700 Fuder Wein ausgeführt. Ein paar Kunden sind allerdings
abgesprungen. Sie haben von dem Zaubereiverdacht gehört. Ich
hoffe, uns gehen nicht noch weitere Abnehmer verloren. Ich habe
nämlich die gesamten Erträge von Bernkastel und Karden
an der Mosel auf zehn Jahre gekauft.«
    Andreas verstand nichts von der großen Politik, doch ihm
war bekannt, dass vor vier Jahren die Kölner aus dem Bund
der Hanse ausgeschlossen worden waren, weil sie sich geweigert
hatten, ihren Englandhandel einzustellen, nachdem alle anderen
Mitglieder der Hanse wegen des Kaperkrieges gegen die Insel keine
Geschäfte mehr im Londoner Stalhof und den anderen
Häfen machten.
    »Für Euch ist diese Situation offenbar gar nicht so
schlecht«, meinte Andreas und schaute Barbara Leyendecker
zu, wie sie auf ihrem Wachstäfelchen wieder einen Strich
machte.
    Die Leyendeckerin lachte kurz und schrill auf.
»Natürlich! Meine Situation ist ausgezeichnet. Mein
Gatte hat Selbstmord verübt, ich stehe als Witwe mit dem
Geschäft ohne Hilfe da und habe keine Ahnung, ob Ludwigs
Pakt mit dem Teufel mir bald den ganzen Handel verdirbt. Mit
meinem Schmerz muss ich allein fertig werden, aber ansonsten geht
es mir ganz großartig.«
    Andreas spürte, dass er rot wurde, und rieb sich linkisch
über das Kinn. »Verzeiht bitte, Leyendeckerin. Ich bin
eigentlich hier, um Euch mein aufrichtiges Beileid auszusprechen.
Ich bin erst vor kurzem von meinem Aufenthalt in Bologna
zurückgekehrt und war erschüttert, als ich die
schreckliche Nachricht vom Tode Eures Gemahls erfuhr.«
    Einer der Knechte rief Barbara zu, das letzte Fass sei nun im
Gewölbe verstaut. Sie entließ die Arbeiter mit einem
knappen Kopfnicken, zählte die Striche nach und
lächelte.
    »Ich danke Euch für Euer Mitgefühl«,
sagte die Witwe. In ihrem schlichten schwarzen Kleid und
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