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Tod im Dom

Tod im Dom

Titel: Tod im Dom
Autoren: Thomas Ziegler
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Seite.
    Wir verließen das Haus, das fast zu unserer Gaskammer geworden wäre, stiegen in den Trabbi und brausten mit Höchstgeschwindigkeit Richtung Köln. Anja holte das letzte aus dem frisierten Zweizylinder-Zweitaktmotor heraus, verstieß gegen jede vorstellbare Verkehrsregel und schreckte nicht einmal davor zurück, einen Porsche per Lichthupe von der Überholspur zu scheuchen. Ich betete derweil still vor mich hin, unterließ aber jeden Kommentar – die Zeit war knapp, Tempo unsere einzige Chance.
    Die drei von der Stasi mußten noch Machetzkys Leiche beseitigen, ehe sie das Gold aus der Kölner Spedition wegschaffen konnten. Mit ein wenig Glück würden wir vor ihnen in der Domstadt eintreffen.
    »Aber was ist, wenn wir Pech haben und das Goldlager längst geräumt ist?« fragte Anja kurz vor Magdeburg. »Was ist, wenn wir zu spät kommen? Was ist, wenn…«
    »Keinen Defätismus«, verlangte ich.
    Aber sie hatte natürlich recht. Wenn wir zu spät kamen, war es aus mit mir. Dann würde ich nie beweisen können, daß ich mit dem Tod an Pastich nichts zu tun hatte. Ich würde in den Ossendorfer Knast wandern und Anja sich in Leipzig die Augen aus dem Kopf heulen, während Scheller ungestört sein landesweites Terrornetz knüpfen konnte.
    Die Perspektive war so unerfreulich, daß ich nicht länger darüber nachdachte.
    Wir rasten weiter, passierten den ehemaligen Grenzübergang bei Helmstedt und bretterten über die A2 an Hannover vorbei. Als Bielefeld hinter uns lag, setzte dichtes Schneetreiben ein, aber Anja drückte unbeirrt aufs Gaspedal.
    Die nächsten Stunden waren die Hölle.
    Wir rutschten mehr über die verschneite Autobahn, als daß wir fuhren, entgingen mehrmals nur um Haaresbreite dem Unfalltod und ließen ganze Heerscharen entnervter BMW- und Mantafahrer hinter uns zurück. Und dann, nach über fünfhundert Kilometern Kamikaze, als es schon langsam dämmerte, tauchte Köln vor uns auf.
    Ich war noch nie so froh, die Türme des Doms zu sehen.
    Aber die eigentliche Kamikazefahrt lag noch vor uns.
     
    Das Grauen begann, kaum daß wir die Spedition Blitz erreichten. Sie lag zwischen Dellbrück und Refrath, wie ich aus dem Telefonbuch erfahren hatte, in unmittelbarer Nähe des Ostfriedhofs, was bei Schellers Gewerbe nur von Vorteil sein konnte.
    Ich hatte keinen ausgefeilten Plan, wie ich unsere Stasi-Freunde ausschalten und an das Gold kommen wollte, aber die Planung erübrigte sich ohnehin – als wir um die letzte Straßenecke bogen, kam uns dieser 30-Tonner-Diesel mit dem Blitz- Logo an den Seiten entgegengebraust, ein Monstrum von einem Fahrzeug, riesig und bedrohlich, der personifizierte Tod auf Rädern.
    Hinter der Windschutzscheibe sah ich drei nur allzu vertraute Gesichter – Scheller, Paul und der Major, häßlich wie eh und je. Sie wirkten nicht gerade begeistert, so unerwartet mit uns und dem rosaroten Trabbi konfrontiert zu werden, wo wir doch längst hätten tot sein sollen.
    Dann donnerten sie an uns vorbei, und Anja riß das Steuer herum. Wir schlitterten über die Straße, fingen uns wieder, drehten und nahmen die Verfolgung auf.
    »Bleibt stehen, ihr Stasi-Schweine!« schrie Anja und drückte wie wild auf die Hupe. »Ihr entkommt uns nicht, ihr habt keine Chance!«
    Ich hätte Anjas Optimismus gern geteilt, aber der Anblick dieses tonnenschweren Monstrums hatte mich so sehr erschreckt, daß mein Goldfieber wie weggeblasen war. Plötzlich schien der ohnehin winzige Trabbi noch um ein paar Zehnerpotenzen zu schrumpfen.
    Sie würden uns wie eine Fliege zerquetschen, wenn wir ihnen zu nahe kamen, soviel stand fest. Wahrscheinlich warteten sie nur darauf, daß wir sie einholten!
    Anja indes ließ jede Zurückhaltung vermissen. Sie trat das Gaspedal durch, als wollte sie uns direkt unter die mörderischen Doppelreifen fahren, und hupte wie verrückt. Ihr reines, unschuldiges Madonnengesicht glühte vor Zorn, ihre Augen hinter der Teleskopbrille sprühten Funken.
    Scheller hätte nicht versuchen sollen, sie zu vergasen.
    Er hatte sich damit in Anja eindeutig eine Feindin gemacht.
    Draußen nahm die Dunkelheit zu.
    Die erleuchteten Fenster eines einsamen Hauses huschten an uns vorbei, und dann gab es rechts und links nur noch dichten Wald, finster, still und leer. Wir fuhren geradewegs in die gottverlassene Wildnis des Königsforsts.
    Mir zog sich der Magen zusammen.
    Meine vage Hoffnung, den Laster an der nächsten Ampel zu stoppen, wo es Lichter, Menschen, Polizisten gab und die
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