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Tod im Dom

Tod im Dom

Titel: Tod im Dom
Autoren: Thomas Ziegler
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schon?«
    »Jetzt schon«, bestätigte ich.
    Anja hielt an. Der Motor erstarb und es wurde angenehm still. Ich öffnete die Tür, zwängte mich hinaus und streckte mich. Meine Knochen knackten wie morsche Hölzer, die von brutaler Hand zerbrochen wurden, und kalter Wind pfiff mir unters Hemd. Ich schlüpfte hastig in meinen grünen Onkel-Makarow-Lodenmantel und sah mich forschend um. Weit und breit keine Menschenseele, nur schneebedeckte Äcker und Weiden auf der einen Seite, dichter Wald auf der anderen und in der Ferne die Schuppen und Scheunen einer großen LPG.
    Ich spähte in das Waldstück.
    Dort war es, das Haus. Bollmanns Schlupfwinkel, halb hinter den kahlen, knorrigen Bäumen verborgen, weiß verputzt, mit großzügiger Holzterrasse und Schieferdach. Kein Vergleich mit den halben Ruinen, die ich bisher gesehen hatte.
    »War früher eine Datsche des MfS«, drang Machetzkys Stimme aus dem Trabbi. »Bollmann hat es gleich nach der Wende über einen Strohmann aus dem Westen erworben. Niemand weiß, daß es ihm gehört.«
    »Wie beruhigend«, brummte ich.
    Genauso hatte ich mir die Wende vorgestellt – die Bonzen sahnten ab und die Leute, die sie jahrzehntelang verarscht und fertiggemacht hatten, durften stempeln gehen.
    »Das wird sich ändern«, sagte Anja, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »O ja, das wird sich ändern.«
    »Steigen Sie aus, Machetzky«, befahl ich.
    Schnaufend und stöhnend kam er der Aufforderung nach. Anja wollte ebenfalls aussteigen, aber ich hielt sie zurück.
    »Du bleibst im Wagen. Laß den Motor laufen. Wenn ich in fünf Minuten nicht zurück bin oder irgend etwas Verdächtiges geschieht, fährst du zur nächsten Polizeiwache und holst Hilfe.«
    »Aber Harry…!«
    »Kein Aber. Du bist meine Rückversicherung.«
    »Na hören Sie mal, Hendriks – trauen Sie mir etwa nicht?« fragte Machetzky gekränkt. »Ich dachte, wir sind Partner. Sie brauchen uns, und wir brauchen Sie.«
    »Mal sehen, was Bollmann dazu meint.«
    »Bollmann wird das tun, was ich ihm sage«, behauptete Machetzky.
    »Bollmann wird das tun, was Onkel Makarow ihm sagt«, korrigierte ich und gab Machetzky einen Stoß. »Vorwärts.«
    Wir gingen los. Anja sah uns nach, mit großen besorgten Eulenaugen, und erst, als wir die Biegung passiert hatten, zog ich die Makarow aus der Tasche und entsicherte sie. Ich hatte sie nicht beunruhigen wollen – aber es bestand immer noch die Möglichkeit, daß Machetzky eine Teufelei plante.
    Das Haus lag scheinbar verlassen da. Die Fensterläden waren geschlossen, kein Rauch drang aus dem Kamin, kein Auto stand vor der Tür.
    »Keine Sorge«, sagte Machetzky und steuerte die Haustür an. »Wenn Bollmann nicht da ist, warten wir im Haus. Ich habe einen Schlüssel.«
    Er klingelte, aber nichts rührte sich. Machetzky zuckte mit den Schultern, fischte einen Schlüsselbund aus der Tasche und schloß auf. Im Flur war es dämmrig und still. Es roch nach Bohnerwachs und abgestandenem Zigarettenrauch. Die Türen zu den angrenzenden Räumen standen offen, eine Holztreppe führte nach oben, doch nirgendwo ein Laut, nirgendwo eine Bewegung.
    »Bollmann?« rief Machetzky. »Ich bin es – Machetzky. Sind Sie da, Bollmann?«
    Keine Antwort.
    »Sehen wir uns mal um«, sagte ich und gab Machetzky einen Stups mit der Makarow. »Vielleicht finden wir…«
    Eine Diele knarrte.
    Direkt hinter mir.
    Ich wirbelte herum, sah eine schattenhafte Gestalt, dann zischte etwas, und Gas brannte in meinen Augen, raubte mir den Atem. Ich wollte die Makarow hochreißen und schießen, aber ich konnte meine Arme nicht mehr bewegen, keinen einzigen Muskel mehr kontrollieren, und dann stürzte ich und alles wurde finster.
    Das letzte, was ich hörte, war das dumpfe Krachen eines Schusses und Machetzkys Todesschrei.

 
11
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    Vor dem Leichtsinn kann man gar nicht genug warnen. Purer Leichtsinn hatte mich dazu verführt, zur Diebestour in die Kölner Innenstadt aufzubrechen, obwohl ich eigentlich dem Stehlen für immer entsagen wollte; purer Leichtsinn hatte mich in Mordverdacht gebracht; und allem Anschein nach würde mich purer Leichtsinn nun auch noch das Leben kosten.
    Als ich wieder zu mir kam, war ich sogar bereit, freiwillig zu sterben – in meinem Kopf hämmerte ein Preßlufthammer, vor meinen Augen wallte roter Nebel, und in meinem Mund schmeckte es nach alten Socken. Das machte nicht unbedingt Mut zum Weiterleben.
    Das Gas, dachte ich benommen. Dieses teuflische Gas…
    Dann dachte ich an
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