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Tod im Dom

Tod im Dom

Titel: Tod im Dom
Autoren: Thomas Ziegler
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die Zeit am Lenkrad vertreiben, und bliesen noch mehr Abgasschwaden in die verräucherte Luft.
    Ich hätte Leipzig am liebsten umfahren, aber Anja ließ es sich nicht nehmen, mir die Nikolaikirche zu zeigen, von der die Montagsdemonstrationen zum friedlichen Revolutionsmarsch durch die Stadt aufgebrochen waren.
    »Ich war dabei«, sagte sie mindestens hundertmal. »Von Anfang an, schon vor dem 9. Oktober, bei den kleineren Demos, als die Stasi-Schweine noch mit Knüppeln und Greifkommandos jeden jagten, der auch nur nach Gewaltfreiheit aussah. Aber das hat uns nicht beeindruckt. Schließlich waren wir das Volk, und das haben wir so lange erklärt, bis es sogar eine Dumpfbacke wie Krenz begreifen mußte. Tscha, und dann wurde die Mauer geöffnet. Ganz Leipzig fuhr gen Westen, um die Aldi-Märkte zu plündern, und ich blieb allein zurück.«
    »Wieso?« fragte ich erstaunt. »Keinen Appetit auf Bananen gehabt?«
    Machetzky lachte bräsig.
    »Der Trabbi war kaputt«, erklärte Anja. »Der Kühler. Ich mußte ihn löten.«
    Machetzky beugte sich nach vorn und ächzte. »Verdammt, meine Bandscheibe! Geben Sie Gas, junge Frau! Wenn ich noch ein paar Stunden länger in Ihrem Autochen sitzen muß, bin ich ein Fall für den Rollstuhl. Wie kann man nur mit einem Trabbi von München nach Leipzig fahren…! Wie kann man überhaupt mit einem Trabbi fahren!«
    »Seien Sie froh, daß Sie überhaupt fahren können«, meinte ich. »Ohne uns lägen sie längst tot in einem Preßspansarg.«
    »Das wäre jedenfalls bequemer. Wenn Sie mich fragen – daran ist die DDR zugrunde gegangen. An den Trabbis. Geben Sie den Leuten anständige Autos, und sie machen keine Revolution.«
    »Hören Sie bloß auf«, fauchte Anja. »Sie mit Ihren KoKo- Geschäften waren doch eine Stütze des Regimes. Ohne Leute wie Sie hätte Honecker schon vor Jahren abtreten müssen.«
    »Ich bin Geschäftsmann«, verteidigte sich Machetzky. »Wenn ich mir meine Partner nach moralischen Maßstäben aussuchen wollte, wäre ich Pfarrer geworden.«
    Wir fuhren schweigend weiter.
    Ich sah mir eine Weile die Gesichter der Passanten an, aber es war keine reine Freude – niemand übersteht dreißig Jahre lebendig Eingemauertsein mit einem unbeschwerten Lächeln. Sie hatten Honecker, Mielke und die anderen Bonzen in die Wüste gejagt und gegen King Kohl und die D-Mark eingetauscht, in der Hoffnung, dann wie im Werbefernsehen West leben zu können, doch statt dessen brach um sie herum alles zusammen.
    Kein Wunder, daß neun von zehn ein Gesicht machten, als stünde der Weltuntergang vor der Tür. Und die zehn Prozent, die trotzdem grinsten, waren eindeutig ehemalige Stasi-Spitzel mit einem dicken D-Mark-Konto, der Lohn des fleißigen Denunzianten.
    Endlich lag Leipzig hinter uns. Die Luftqualität wurde nicht besser, aber die Landschaft zeigte einige Reize, die das SED-Regime mangels Geld nicht zerstört hatte – stille Straßen, von uralten Bäumen gesäumt, wie sie im Westen schon vor Jahrzehnten abgesägt worden waren, um Typen wie Machetzky das Herumkurven mit ihren Untertürkheimer Luxuslimousinen zu erleichtern. Die Häuser waren nach wie vor in einem desolaten Zustand, doch viele stammten noch aus der Gründerzeit, potentielle Schmuckstücke, die geradezu nach Investoren schrien.
    »In zehn Jahren«, sagte Anja, »ist das hier der schönste Teil Deutschlands. Ihr werdet sehen. Wenn die Altbauten erst mal saniert sind…«
    »… gehört der Osten uns«, unterbrach Machetzky mit kollerndem Gelächter. »Soviel Geld, wie die Sanierung kostet, könnt ihr Ossis in einem Leben gar nicht verdienen.«
    Zumindest nicht auf legale Weise, sagte ich mir und dachte an das Gold.
    Wir kamen an eine Kreuzung. Machetzky dirigierte uns nach rechts und dann durch ein Labyrinth schmaler, kurvenreicher und von Schlaglöchern übersäter Landstraßen, die die Stoßdämpfer des Trabbis und meinen Sinn für Romantik aufs Schwerste belasteten.
    »Durchhalten, bloß durchhalten«, ächzte der von seiner Bandscheibe geplagte Machetzky. »Wir sind bald da.«
    Das konnte ich nur hoffen. Zwar hatte ich eine stählerne Konstitution, aber das tagelange Trabbifahren forderte allmählich seinen Tribut – mein vertrauenerweckendes Lächeln war bereits erloschen, und ich wagte gar nicht daran zu denken, wie sich die Tortur auf mein teuflisch gutes Aussehen auswirken würde.
    »Hinter der nächsten Biegung ist es«, sagte Machetzky.
    Ich seufzte erleichtert. »Okay, Anja, halt an.«
    »Jetzt
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