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Tod für Don Juan

Tod für Don Juan

Titel: Tod für Don Juan
Autoren: Colin Dexter
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Ashendens Leben, denn über viele Jahre hatte er
verschiedene Spezialzeitschriften abonniert, die in England und auf dem
Kontinent für Filmfreaks wie ihn herausgegeben wurden. Wo und wann genau die
Entartung eingesetzt hatte (wenn man es denn so nennen wollte), hätte er nicht
genau sagen können.
    Er war Jahrgang 1952 und daher
nicht mehr — wie die Generation seines Vaters — das Opfer sexueller Repression.
Und nachdem er (gleich nach dem Schulabschluß) angefangen hatte zu arbeiten und
zu reisen, hatte er kaum Hemmungen, seine sexuelle Neugier durch gelegentliche
Besuche von Saunaclubs, Sexkinos oder freizügigen Bühnenshows zu befriedigen.
Nach und nach aber fachten diese Erfahrungen seine Begierde, statt sie zu
befriedigen, nur noch mehr an, und er wurde zum unverbesserlichen Voyeur. Von
erfahreneren Kollegen aus der Reisebranche (die gegen korrumpierende Einflüsse
aus dieser Richtung offenbar völlig immun waren) hatte er früher oft genug
gehört, Pornos seien ja gut und schön, wenn sie nur nicht so entsetzlich
langweilig wären...
    Wie unappetitlich sein
beginnendes Laster war, hatte er gleich zu Anfang begriffen, als er sich wie
ein Blinder durch den dunklen Mittelgang eines schmierigen Kinos getastet
hatte, die Cockneystimme des Anreißers noch im Ohr: «Hier haste was Richtiges,
Kumpel, hier geht’s echt zur Sache, kein Rumgesülze und affiges Etepetete...»
Es erschreckte ihn, daß ihn derart primitive Paarungsszenen so stark erregen
konnten, andererseits war es ihm eine Beruhigung, daß fast alle Kinos, die er
besuchte, ziemlich voll waren, und daß seine Mitzuschauer vermutlich ebenso
normal waren wie er selbst. Sehr bald begriff er auch etwas von jener
«Synthese», die Jimmy ihm zu erklären versucht hatte — der Synthese von Stil
und Sexualität. Denn es gab da tatsächlich Leute, die sich auf solche Dinge
verstanden, es gab Zusammenkünfte in Privatwohnungen, bei denen der
Hohepriester das erhabene Introite anstimmte: «Ist jeder persönlich bekannt?»
Daß Ashenden genötigt gewesen war, heute nachmittag auf eine solche
Zusammenkunft der Eingeweihten zu verzichten, war enttäuschend. Wirklich sehr
enttäuschend. Doch die nächste Station war Oxford...

3
     
    «Jetzt
komm schon, Maulwurf!» drängte die Ratte und trabte weiter.
    «Ach bitte, bleib stehen,
Ratty», bettelte der arme Maulwurf ganz verzweifelt. «Das verstehst du nicht.
Es ist meine Heimat, mein altes Heim. Eben weht mir der Geruch in die Nase, es
muß ganz in der Nähe sein, wirklich ganz in der Nähe. Da muß ich einfach hin!» (Kenneth
Graham, Der Wind in den Weiden)
     
     
    «Arksford?
Das ist Arksford?»
    John Ashenden warf von seinem
Gangplatz in der ersten Reihe aus einen kurzen Blick auf die zierliche
Siebzigerin aus Kalifornien. «Ja, Mrs. Roscoe, das ist Oxford», erwiderte er
resigniert, doch ohne Groll. Die belesene, eifrige, nervtötend humorlose Mrs.
Roscoe war zwar bisher noch mit keinem Programmpunkt der Historischen
Städtetour durch England (London—Cambridge—Oxford—Stratford—Bath—Winchester)
hundertprozentig einverstanden gewesen, doch als er jetzt auf seiner Seite aus
dem Fenster sah, konnte Ashenden ihre Enttäuschung verstehen. Die alte
Universitätsstadt zeigt sich, wenn man sich ihr vom östlichen Teil der A40 her
nähert, nicht gerade von ihrer besten Seite, und der abfallbedeckte,
ungepflegte Rasen vor einer grellbunten Tankstelle, an der sie sich auf ihrem
Weg in Richtung Headington-Kreisel vorbeiquälten, trug auch nicht gerade zur
Verschönerung der Landschaft bei.
    Die Reisenden — achtzehn
Frauen, neun Männer (drei ausgewiesene Ehepaare) — lehnten sich zurück, während
der Bus, dem Schild «Stadtmitte» folgend, wieder schneller wurde und über den
gesichtslosen nördlichen Teil der Ringstraße zum Banbury-Kreisel rollte.
    Mrs. Laura Stratton fühlte sich
denkbar unbehaglich. Sie schlug zur Abwechslung das linke über das rechte Bein
und massierte den linken’ Fuß mit der rechten Hand. Vereinbarungsgemäß würde
Eddie die Formulare ausfüllen, sich um den Eintrag im Gästebuch kümmern, dem
Hoteldiener ihre Koffer zeigen und ihm ein angemessenes Trinkgeld geben,
inzwischen konnte sie sich in einem heißen Kräuterbad langlegen und ihrem müden
Körper, ihren müden Füßen Ruhe gönnen.
    «Mir ist so elend, Ed!»
    «Ganz ruhig, Schätzchen, das
wird schon alles wieder.» Er sprach so leise, daß selbst Laura ihn kaum
verstand. Eddie Stratton, Sechsundsechzig und damit vier Jahre
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