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Tod für Don Juan

Tod für Don Juan

Titel: Tod für Don Juan
Autoren: Colin Dexter
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Mr. Ashenden. William Holman
Hunt und... und Mil lais .»
    «Das werden Sie morgen ja
selbst beurteilen können», hatte Ashenden leichthin erwidert. Die Vornamen
eines Malers, den sie so aussprach, als reime er sich auf Reis, hatte
die vermaledeite Person offenbar vergessen — oder nie gewußt.
    Es war ärgerlich, daß man wohl
oder übel dem Busunternehmen in Cambridge das Geld für die ausgefallenen
Ausflüge in den Rachen werfen mußte. Noch ärgerlicher war, daß er für die
Erbauung und Zerstreuung seiner Seniorenclique den ganzen Nachmittag hatte
opfern müssen. Er hielt sich einiges auf seine Fähigkeiten als Reiseleiter
zugute, aber in den letzten Jahren verspürte er immer dringender das Bedürfnis,
bei seinen Pflichten, die ihn praktisch rund um die Uhr beanspruchten, hin und
wieder eine Pause einzulegen. Die Nachmittage pflegte er sich deshalb nach
Möglichkeit freizuhalten, hütete sich aber zu verraten, was er in dieser Zeit
trieb.
    Im November 1974 hatte er sich
in Cambridge zur Aufnahmeprüfung für ein Studium der modernen Sprachen
gemeldet. Seine in der Gesamtschule erzielten Abschlußnoten hatten nicht
unberechtigten Optimismus geweckt, und er hatte noch ein Trimester drangehängt,
um das Gesamtergebnis zu verbessern. Sein Vater wäre der stolzeste Mann in ganz
England gewesen, hätte sein Sohn die Prüfer von seiner sprachlichen Kompetenz
überzeugen können. Doch der Versuch schlug fehl, und am Weihnachtsabend war
folgendes Schreiben durch den Briefschlitz gefallen:
     
    Senior Tutor, Christ’s
College, Cambridge
    21.12.1974
    Sehr geehrter Mr. Ashenden,
    nach gründlicher und
wohlwollender Prüfung Ihrer Bewerbung müssen wir Ihnen leider mitteilen, daß
wir Ihnen keinen Studienplatz in unserem College anbieten können. Wir verstehen
Ihre Enttäuschung, aber Sie wissen sicher, wie begehrt die wenigen Vakanzen...
     
    Ganz ohne Folgen aber war sein
kurzer Aufenthalt in Cambridge nicht geblieben. Er hatte zwei Nächte im Second
Court von Christ’s übernachtet, zusammen mit einem Mitbewerber aus Trowbridge,
einem schlaksigen, erstaunlich belesenen jungen Mann, der nicht nur ein
Stipendium in Alten Sprachen anstrebte, sondern sich auch vorgenommen hatte,
die Universität (oder das Universum?) zu den selbstverständlichen Wahrheiten
seiner Spielart des Neomarxismus zu bekehren. So richtig hatte John das alles
gar nicht verstanden, aber unvermittelt hatte sich vor ihm eine Welt der
Gelehrsamkeit, des Intellekts, der phantasievollen Begeisterung und
Sensibilität — ja, vor allem der Sensibilität — aufgetan, von der er in seiner
Gesamtschule in Leicester nichts geahnt hatte.
    An ihrem letzten gemeinsamen
Nachmittag hatte Jimmy Bowden, der Trotzkist aus Trowbridge, ihn ins Kino
mitgenommen — zu einer Doppelvorstellung aus dem goldenen Zeitalter des
französischen Films —, und dort hatte er sich in eine schwüle Hure mit
rauchiger Stimme verliebt, die in einem schmierigen Bistro die
seidenbestrumpften Beine übereinanderschlug und Absinth schlürfte. Das alles
habe etwas mit «der Synthese von Stil und Sexualität» zu tun, hatte Jimmy ihm
zu erklären versucht. Bis in die frühen Morgenstunden hatten sie
zusammengesessen und geredet, und am nächsten Morgen war Jimmy dann um sechs
aufgestanden, um vor Marks & Spencer den Socialist Worker an
den Mann — oder die Frau — zu bringen.
    Wenige Tage nach der Ablehnung
seiner Bewerbung hatte Ashenden eine Postkarte von Jimmy bekommen, eine
Schwarzweißaufnahme des Grabs von Karl Marx auf dem Friedhof von Flighgate:
    «Die Idioten haben mir trotz
meiner griechischen Prosa ein Vollstipendium spendiert! Nehme an, Du hast
inzwischen auch Deinen positiven Bescheid. War schön, Dich kennenzulernen,
freue mich auf unser erstes gemeinsames Trimester. Jimmy.»
     
     
    Er hatte Jimmy nie geantwortet.
Und nur durch Zufall hatte er sieben Jahre danach, als er mit einer Gruppe nach
Oxford kam, jemanden getroffen, der Jimmy Bowden gekannt hatte...
    Jimmy hatte erwartungsgemäß
seine Abschlußprüfung mit Glanz und Gloria bestanden und eine Doktorandenstelle
zur Erforschung frühetruskischer Epigraphik bekommen. Drei Jahre später war er
am Morbus Hodgkin gestorben. Er hatte, wie sich herausstellte, keine
Angehörigen und war auf dem Holywell Cemetery in Oxford beigesetzt worden, an
der Seite zahlreicher, sehr berühmter Professoren, nur acht, neun Meter von
Walter Paters Grab entfernt. Auch nach Jimmys Tod schwand die Erinnerung an ihn
nicht ganz aus John
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