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Tod eines Mathematikers

Tod eines Mathematikers

Titel: Tod eines Mathematikers
Autoren: Kerstin Herrnkind / Walter K. Ludwig
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arbeiten, seine Personalien auf: Grothe, Matthias, geboren am 3.   November 1975 in Delmenhorst.
    »Ich habe nichts gemacht«, hörte Matze sich lallen und wusste, wie unglaubwürdig er klang. »Ich will sofort einen Anwalt sprechen.«
    Die Beamten lachten nur. Zwei weitere Polizisten kamen, packten ihn an den Armen und führten ihn ab. Matze war viel zu besoffen, um sich zu wehren. »Ich bin Journalist«, lallte er.
    »So, Journalist bist du«, antwortete einer der Bullen, ein kahlköpfiger Typ, der in anderer Kluft glatt als Skinhead durchgegangen wäre. »Das freut uns natürlich ganz besonders, die vierte Gewalt hier bei uns im Polizeigewahrsam begrüßen zu dürfen.« Mit diesen Worten gab der Bulle Matze von hinten einen Schubs, sodass er ins Taumeln geriet.
    »Geben Sie mir sofort Ihren Namen«, schrie Matze. Statt einer Antwort schlug ihm der Bulle seine Faust ins Gesicht. Matze schmeckte den salzigen Geschmack von Blut, das aus seiner aufgesprungenen Lippe sickerte.
    »Und?«, höhnte der Bulle. »Willst du meinen Vornamen auch noch wissen?«
    Reflexartig riss Matze seine Hände auseinander, wollte zurückschlagen. Die Kabelbinder schnitten ihm ins Fleisch.
    »Du kriegst jetzt erst mal eine Anzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte«, sagte der Schläger zu Matze und wandte sich an seinen Kollegen. »Hast doch gesehen, dass der versucht hat, mich zu treten, nicht?«
    »Und ob ich das gesehen habe«, nickte der andere Polizist, ein dunkelhaariger Typ mit Schnauzer. Dann schnitten sie ihm die Kabelbinder vom Handgelenk und schubsten Matze in eine Zelle, in der schon acht Leute saßen.
    Auf den ersten Blick sah Matze, dass er mit Abstand der Älteste war. Die anderen Gefangenen waren noch im Teenageralter, siebzehn, vielleicht achtzehn Jahre alt. Die Luft war stickig und alkoholgeschwängert, niemand in der Zelle war nüchtern. Die Neonröhren an der Decke tauchten den Raum in kaltes Licht. Die Wände waren kahl. Auf einer Pritsche kauerten vier Jugendliche, die anderen hockten auf dem Betonboden. In der Ecke saß ein Mädchen. Sie war höchstens siebzehn. Auf ihren Wangen glänzte ein Schmierfilm aus Wimperntusche und Tränen. Als Matze in die Hocke ging, um sich neben sie zu setzen, drückte plötzlich das iPhone gegen seine Wade. Das Telefon hatte Matze ja total vergessen. Er hatte sich angewöhnt, das Handy im Schaft seiner Knobelbecher zu verstauen, wenn er um die Häuser zog, um zu verhindern, dass er das teure Teil verlor oder es ihm geklaut wurde. Die Bullen hatten ihn, was sicher gegen die Vorschriften verstieß, nur oberflächlich durchsucht. Auch seine Schuhe hätte er eigentlich ausziehen müssen. Matze krempelte seine Jeans hoch und fingerte das iPhone aus dem Stiefelschaft. Sofort kam Bewegung in die lädierte Gesellschaft.
    »Krass, Alter, wenn die Bullen das sehen, bist du es los«, sagte ein Typ, dessen Dreads fast zur Hüfte reichten, und pfiff durch die Zähne.
    »Um das zu verhindern, müsst ihr euch jetzt mal vor die Tür setzen, damit ihr merkt, wenn die Bullen zurückkommen.« Matze klang wie ein Papa, der seinen Kindern Anweisungen erteilte. Tatsächlich gehorchten die Jugendlichen und postierten sich vor die Zellentür.
    Matze schaltete sein iPhone ein und war überrascht, dass das Netz durch die Mauern des Polizeigewahrsams drang. Anwaltsnotdienst Bremen tippte er bei Google ein und wählte kurz darauf die Handynummer, die das Internet ausgespuckt hatte. Er war nicht sicher, ob an Neujahr jemand rangehen würde. Doch nachdem es ein paar Mal getutet hatte, meldete sich eine Frauenstimme, die weder verschlafen noch betrunken klang. Matze schilderte ihr, was passiert war.
    »Ich brauche alle Namen und Geburtsdaten der Zelleninsassen«, antwortete sie routiniert.
    Matzes Handy machte die Runde und einer nach dem anderen flüsterte Namen und Geburtsdatum ins Handy. Er hatte sich nicht getäuscht: Keiner seiner Mitgefangenen war älter als neunzehn. Matze nahm das Handy wieder an sich und sprach mit der Frau vom Anwaltsnotdienst.
    »Ich schicke Ihnen jetzt so schnell wie möglich jemanden vorbei«, versprach sie.
    »Danke«, flüsterte Matze ins Telefon. Doch er blieb skeptisch. Wo sollte die Tante jetzt einen Anwalt auftreiben? Die lagen doch sicher alle besoffen im Bett.
    Eine gute Stunde später, gegen halb acht, wurde die Zellentür plötzlich aufgeschlossen. »Raus, ihr seid alle entlassen«, knurrte ein Beamter. Im Vorraum stand eine Anwältin, der man ansah, dass sie aus
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