Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
sich vom Fluss ab und ging über den Gehsteig auf den nächsten Platz zu, wo er sich durch den Verkehr über die Straße schlängelte, um den Pferdeomnibus nach Hause zu nehmen.
    Vielleicht würde er irgendwann mal wieder an Beth schreiben, aber noch nicht. Er musste mehr herausfinden. Kristians Erfahrung lastete auf ihm und würde ihm keine Ruhe lassen. Aber er hatte auch Angst, weil es zu viele beunruhigende Möglichkeiten gab, und das, was er sich geschaffen hatte, war ihm zu lieb, als dass er es aufs Spiel setzen wollte.

1
    Vor der Frauenklinik am Coldbath Square war Lärm zu hören. Hester hatte Nachtdienst. Als die Tür zur Straße aufging, wandte sie sich, das Holzscheit noch in der Hand, vom Ofen ab. In der Tür standen drei Frauen, die einander stützten. Ihre billigen Kleider waren zerrissen und ebenso wie ihre Gesichter mit Blut verschmiert. Im Licht der Gaslampe an der Wand war ihre Haut gelblich. Eine von ihnen, deren blondes Haar sich aus einem unordentlichen Knoten löste, hielt sich die linke Hand, als sei sie gebrochen.
    Die mittlere Frau war größer, ihr dunkles Haar hing offen herab, und ihr Atem ging schwer und keuchend. Auf der zerrissenen Vorderseite ihres Satinkleides war Blut, ebenso wie auf ihren hohen Wangenknochen.
    Die dritte Frau war älter, gut Mitte bis Ende dreißig, auf ihren Armen, an ihrem Hals und am Kinn leuchteten blaue Flecken.
    »Hey, gnä' Frau!«, sagte sie und drängte die anderen beiden hinein in die Wärme des großen Raums mit den geschrubbten Dielen und den weiß getünchten Wänden. »Mrs. Monk, Sie müssen uns noch mal helfen. Kitty hier hat's übel erwischt. Und mich und die andere auch. Ich glaub, Lizzie hat sich das Handgelenk gebrochen.«
    Hester legte das Scheit beiseite und trat zu den Frauen. Mit einem raschen Blick nach hinten vergewisserte sie sich, dass Margaret bereits heißes Wasser vorbereitete und Tücher, Verbände und Kräuter zum Baden bereitlegte, um damit die Wunden leichter und weniger schmerzvoll zu reinigen. In diesem Haus kümmerten sie sich um Prostituierte, die verletzt oder krank waren, sich jedoch keinen Arzt leisten konnten und von den respektableren Wohlfahrtseinrichtungen abgewiesen wurden. Es war die Idee ihrer Freundin Callandra Daviot gewesen, und Callandra hatte auch das nötige Geld dafür zur Verfügung gestellt, bevor private Ereignisse sie von London weggeführt hatten. Durch sie hatte Hester auch Margaret Ballinger kennen gelernt, die sich verzweifelt bemüht hatte, einem anständigen, aber uninteressanten Heiratskandidaten zu entkommen. Dass sie eine solche Arbeit machte, hatte den in Frage kommenden Herrn derart beunruhigt, dass er zu Margarets Erleichterung und zum Verdruss ihrer Mutter im letzten Augenblick davor zurückgeschreckt war, ihr einen Antrag zu machen.
    Hester führte die erste Frau zu einem der Stühle mitten im Raum neben dem Tisch. »Kommen Sie, Nell«, drängte sie. »Setzen Sie sich.« Sie schüttelte den Kopf. »Hat Willie Sie wieder geschlagen? Sie könnten doch sicher einen besseren Mann finden?« Sie besah sich die blauen Flecke an Nells Arm. Da hatte eindeutig jemand zu fest zugepackt.
    »In meinem Alter?«, fragte Nell bitter und machte es sich auf dem Stuhl bequem. »Kommen Sie, Mrs. Monk! Sie meinen es gut, glaube ich wohl, aber Sie sollten auf dem Teppich bleiben. Wollen Sie mir nicht Ihren gut aussehenden Alten anbieten?« Sie grinste bedauernd. »Dann würde ich Sie auch mal einladen. Er hat was an sich, als sei er wirklich was Besondres. Bisschen gemein, aber fröhlich, wenn Sie versteh'n, was ich meine?« Sie stieß ein schallendes Gelächter aus, das in einen quälenden Husten überging, sodass sie sich über ihre Knie vorbeugte, weil der Hustenanfall sie so schüttelte.
    Ohne darum gebeten worden zu sein, schenkte Margaret ihr aus einer Flasche einen kleinen Whiskey ein, verkorkte die Flasche wieder und goss heißes Wasser aus dem Kessel hinzu. Wortlos hielt sie das Glas, bis Nell sich so weit unter Kontrolle hatte, dass sie es nehmen konnte. Die Tränen liefen ihr noch über die Wangen. Sie rang nach Luft, trank ein Schlückchen Whiskey, würgte und nahm dann einen kräftigeren Schluck.
    Hester wandte sich der Frau zu, die sie Kitty genannt hatten. Sie starrte mit weit aufgerissenen, schreckerfüllten Augen vor sich hin, ihr Körper völlig verkrampft, die Muskeln so hart, dass die Schultern den dünnen Stoff ihres Mieders fast zerrissen.
    »Mrs. Monk?«, flüsterte sie heiser. »Ihr Mann
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher