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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden
Autoren: Anne Perry
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ihn lockern«, fügte sie hinzu und führte sie zum nächsten Bett hinüber, wo Margaret schon die Laken aufschlug.
    Lizzie sah Hester voller Entsetzen an, das Gesicht blutleer.
    »Der Knochen heilt wieder«, versicherte ihr Hester. »Geben Sie nur Acht, dass Sie nicht dranstoßen.« Während sie das sagte, half sie Lizzie aufs Bett, bückte sich, um ihr die Schuhe auszuziehen, und hob dann ihre Beine an, bis sie in den Kissen lag. Margaret zog die Decken über sie.
    »Bleiben Sie eine Weile liegen«, meinte Hester. »Wenn Sie richtig ins Bett gehen wollen, bringe ich Ihnen ein Nachthemd.«
    Lizzie nickte. »Danke, Miss«, sagte sie mit tiefer Aufrichtigkeit. Sie suchte einen Augenblick nach Worten, um noch etwas hinzuzufügen, dann lächelte sie einfach.
    Hester ging noch einmal zu Kitty, die dasaß und geduldig wartete, bis sie an der Reihe war. Sie hatte ein interessantes Gesicht: kräftige Züge und einen breiten, leidenschaftlichen Mund, nicht hübsch im herkömmlichen Sinne, aber wohlproportioniert. Sie war noch nicht so lange im Gewerbe, dass ihre Haut darunter gelitten hätte oder vom schlechten Essen und von zu viel Alkohol fahl war. Hester überlegte kurz, welche häuslichen Tragödien sie wohl hergeführt hatten.
    Sie sah sich ihre Verletzungen an. Die meisten bestanden aus rasch dunkler werdenden blauen Flecken, als wäre sie in einen Kampf verwickelt gewesen, der aber nicht so lange gedauert hatte, dass sie so schwer verletzt werden konnte wie Nell und Lizzie. Die tiefe Schramme über ihrem Brustbein musste gesäubert, aber nicht genäht werden. Sie blutete kaum, und ein wenig Salbe, die die Heilung beschleunigte, würde reichen. Die blauen Flecken würden noch einige Zeit wehtun, aber da würde Arnika Erleichterung bringen.
    Margaret brachte noch mehr heißes Wasser und saubere Tücher, und Hester machte sich so sanft wie möglich an die Arbeit. Kitty zuckte kaum, als Hester die Schramme berührte, um das angetrocknete Blut abzuwaschen, unter dem die rau aufgerissene Haut sichtbar wurde. Wie immer fragte Hester nicht, wie das passiert war. Zuhälter pflegten ihre Frauen zu züchtigen, wenn sie glaubten, diese würden nicht hart genug arbeiten oder einen zu großen Teil ihrer Einkünfte für sich behalten. Gelegentlich kam es auch zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Frauen, meistens wegen Gebietsstreitigkeiten. Es war am besten, nicht neugierig zu erscheinen, außerdem hätte ihr das Wissen darum nichts genutzt. Alle Verletzten wurden gleich behandelt, egal, wie sie sich ihre Verletzungen zugezogen hatten.
    Als Hester alles getan hatte, was sie für Kitty tun konnte, und ihr eine Tasse starken, süßen Tee mit einem kleinen Tropfen Whiskey gegeben hatte, dankte Kitty ihr und ging wieder hinaus in die Nacht. Sie zog ihren Schal enger um sich. Sie sahen sie hoch erhobenen Hauptes quer über den Platz gehen und im schwarzen Schatten des Gefängnisses auf der Nordseite verschwinden.
    »Ich weiß nicht.« Nell schüttelte den Kopf. »Sie sollte nicht auf den Strich gehen. Das is' nichts für Frauen wie sie, das arme Huhn!«
    Darauf gab es nichts Sinnvolles zu sagen. Hundert verschiedene Umstände trieben Frauen in die Prostitution, oft nur, um das ansonsten zu spärliche Einkommen aufzustocken. Es war der ewige Kampf ums Geld.
    Nell sah sie an. »Sie bleiben immer still, nicht wahr? Danke, Miss. Ich schau mal wieder rein, nehm ich an.« Sie blinzelte Hester ein wenig zu und betrachtete sie mit gespielter Liebenswürdigkeit. »Wenn ich Ihnen mal behilflich sein kann …« Sie ließ den Satz unvollendet und zuckte leicht die Achseln. Dann nickte sie Margaret zu, ging ebenfalls hinaus und zog die Tür hinter sich zu.
    Hester erwiderte Margarets Blick und sah darin gleichermaßen Amüsement wie Mitleid aufblitzen. Sie brauchten kein Wort zu wechseln; was zu sagen war, war bereits gesagt. Sie waren da, um zu heilen, und nicht, um den Frauen, deren Leben sie nur zum Teil verstanden, gute Ratschläge zu geben. Zunächst hatte Margaret die Dinge ändern und das aussprechen wollen, was ihrer Auffassung nach die Wahrheit war. Allmählich war ihr bewusst geworden, wie wenig sie über ihre eigenen Bedürfnisse wusste, außer, dass sie in der Gefangenschaft einer konventionellen Ehe, in der Gefühle nur aus wechselseitigem Respekt und Höflichkeit bestanden, alles, was in ihr steckte, verleugnet hätte. Es mochte zunächst bequem scheinen, aber wenn die Zeit verstrich und sie die Träume in ihrem Innern
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