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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden
Autoren: Anne Perry
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wie in der Schlacht gefallen sind. Wer hat Sie dort eigentlich bezahlt? Die Russkies?« Sie sah die Nadel an, in die Margaret für Hester einen Katgutfaden eingefädelt hatte. Ihr Gesicht wurde grau, und sie wandte den Kopf ab, um nicht mit ansehen zu müssen, wie die Spitze durch ihre Haut fuhr.
    »Schauen Sie auf die Tür«, befahl Hester. »Ich mache, so schnell ich kann.«
    »Und das soll mir ein Trost sein?«, beschwerte sich Nell. »Da kommt der verdammte fette Schmarotzer schon wieder.«
    »Wie bitte?«
    »Jessop!«, schnaubte Nell verächtlich, als die Tür zur Straße auf-und wieder zuging und ein großer stattlicher Mann in Gehrock und Brokatweste hereinkam und mit den Füßen aufstampfte, als wollte er Regentropfen abschütteln, obwohl es in Wahrheit ein vollkommen trockener Abend war.
    »Guten Abend, Mrs. Monk«, sagte er salbungsvoll. »Miss Ballinger.« Sein Blick huschte über die drei anderen Frauen, und er schürzte leicht die Lippen. Er sagte nichts, aber in seinem Gesicht stand Überlegenheit, ein gewisses Vergnügen und eine Spur von Interesse an ihnen, über das er sich jedoch ärgerte und das er heftig leugnete. Er musterte Hester von Kopf bis Fuß. »Es ist nicht gerade einfach, Sie anzutreffen, aber es macht mir nichts aus, deswegen um diese Zeit noch durch die Straßen zu gehen. Das kann ich Ihnen mit völliger Aufrichtigkeit versichern.«
    Hester machte sehr vorsichtig einen Stich in Nells Arm. »Ich hoffe, Sie sind stets vollkommen aufrichtig, Mr. Jessop«, sagte sie kalt ohne aufzublicken.
    Nell rutschte leicht zur Seite und stieß ein Kichern aus, das rasch zu einem Schrei wurde, als sie spürte, wie der Faden durch ihre Haut fuhr.
    »Seien Sie, um Himmels willen, ruhig!«, schnauzte Jessop sie an, aber seine Augen folgten fasziniert der Nadel. »Seien Sie dankbar, dass Sie Hilfe bekommen. Das ist mehr, als die meisten anständigen Leute für Sie tun würden.« Er zwang sich, woandershin zu schauen. »Also, Mrs. Monk, ich diskutiere meine Angelegenheiten nur ungern vor diesen Unglücklichen, aber ich kann nicht warten, bis Sie Zeit für mich haben. Wie Sie sicher wissen, ist es Viertel vor eins, und ich will nach Hause. Wir müssen unsere Vereinbarung überdenken.« Er lief gestikulierend durch den Raum. »Dies ist nicht gerade die beste Art, mein Eigentum zu nutzen, wissen Sie. Ich erweise Ihnen einen beträchtlichen Dienst, indem ich Ihnen diese Räumlichkeiten zu so einem niedrigen Mietzins überlasse.« Er schaukelte ganz leicht auf den Fußballen vor und zurück. »Wie schon gesagt, wir müssen unsere Vereinbarung noch einmal besprechen.«
    Hester hielt die Nadel reglos in der Hand und sah ihn an. »Nein, Mr. Jessop, wir müssen uns exakt an unsere Vereinbarung halten. Sie wurde anwaltlich bezeugt. Sie steht.«
    »Ich muss an meinen Ruf denken«, fuhr er fort, während sein Blick rasch zu den Frauen und dann wieder zu Hester wanderte.
    »Ein wohltätiger Ruf ist gut für jedermann«, erwiderte sie und machte vorsichtig einen weiteren Stich. Diesmal gab Nell keinen Pieps von sich.
    »Ja, aber es gibt solche Wohltätigkeit … und solche.« Jessop spitzte den Mund, schob die Daumen in die Westentaschen und nahm das leichte Schaukeln wieder auf. »Einige sind verdienstvoller als andere, falls Sie verstehen, was ich meine.«
    »Ich schere mich nicht um Verdienstvolles, Mr. Jessop«, erwiderte Hester. »Ich kümmere mich um Bedürftigkeit. Und diese Frau« – sie zeigte auf Lizzie – »hat gebrochene Knochen, die gerichtet werden müssen. Wir können Ihnen nicht mehr zahlen und müssen das auch nicht.« Sie machte nach dem letzten Stich einen Knoten und schaute auf, um ihm in die Augen zu sehen. Ihr schoss der Gedanke durch den Kopf, dass sie Bonbons ähnelten. »Der Ruf, sich nicht an sein Wort zu halten, kann der Ruin sein für einen Geschäftsmann«, fügte sie hinzu. »Und nicht nur für den. Besonders in einer Gegend wie dieser muss man sich auf alle Leute verlassen können.«
    Seine Züge verhärteten sich, bis auch oberflächlich gar nichts Gütiges mehr darin lag. Seine Lippen waren gespannt, seine Wangen fleckig. »Drohen Sie mir, Mrs. Monk?«, sagte er ruhig. »Das wäre äußerst unklug, seien Sie versichert. Auch Sie brauchen Freunde.« Er ahmte ihren Tonfall nach. »Besonders in einer Gegend wie dieser hier.«
    Bevor Hester etwas sagen konnte, warf Nell Jessop einen wütenden Blick zu. »Passen Sie auf, was Sie sagen, Mister. Nutten wie uns können Sie vielleicht
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