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Tod den Unsterblichen

Tod den Unsterblichen

Titel: Tod den Unsterblichen
Autoren: Frederik Pohl
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und reichte sie Locille. »Trink! Keine Widerrede, trink einen tüchtigen Schluck!« Er hustete und wischte sich die Tränen aus den Augen. Der Schnaps schmeckte widerlich; nur wenig war nötig, um ihn wieder betrunken zu machen.
    Aber dieses wenige rettete vielleicht ihm das Leben … Locille das Leben … rettete vielleicht der Welt das Leben!
     

16
     
    Tai-i Masatura-san stand von seinem Bett auf und ging zu dem neuen verstärkten Zaun.
    Diese verrückten Weißen hatten ihnen kein Abendessen gebracht. Es war schon sehr spät, schätzte er, obwohl die Stellung der Sterne ihn verwirrte. Noch vor ein paar Wochen, auf seiner Insel, war das am Himmel kreisende Kreuz des Südens die einzige Uhr, die ein Mensch brauchte. Diese seltsamen nördlichen Sternbilder waren kalt und unerfreulich. Sie sagten ihm nicht, was er wissen wollte, weder Zeit noch Richtung.
    Seine breiten Nasenflügel bebten wütend.
    Um ein Tai-i zu werden, hatte er, unter vielen anderen Künsten, die Kunst des Sternelesens erlernt. Jetzt hatte diese Kunst keinen Wert mehr, war durch die mächtigere Kunst der Weißen nutzlos geworden. Seine Gabe des Tiefriechens, die Ausdehnung eines Teils seines Verstandes, um Wahrheit und Lüge aufzuspüren, war von diesen Alten wirkungslos gemacht worden, die so stark rochen und immer noch seine innere Nase verwirrten.
    Er hätte diesem leisesprechenden uralten Weißen nie trauen sollen, dachte er und spuckte auf den Boden.
    Sein Adjutant stöhnte in der Tür der Hütte.
    In der Eingeborenensprache, in der sie sich leichter unterhalten konnten als im Stammespidgin oder in Masatura-sans mühsamem Englisch, jammerte der Mann: »Ich habe sie gebeten zu kommen, aber sie hören es nicht.«
    »Einer hört es«, sagte Masatura-san.
    »Die Alten sprechen endlos leise«, wimmerte der kranke Mann.
    »Ich höre es«, sagte Masatura-san und kehrte sich in sich. Er hockte sich hin und betrachtete die Sterne und den Zaun. Draußen herrschte sogar zu so später Stunde noch Lärm auf dem Campus – Stimmen, Fahrzeuge.
    Er dachte gründlich darüber nach, was er tun wollte.
    Masatura-san war ein Tai-i durch seine Stärke und sein Wissen, aber auch durch seine Abstammung. Als die Japaner von dem torpedierten Zerstörer 1944 zu seiner Insel gelangten, hatten sie eine blühende Gemeinschaft angetroffen. Das japanische Blut in Masatura-sans Stammbaum rührte nur von dieser Generation her. Schon davor waren seine Ahnen teilweise exotisch gewesen. Die zwölf Japaner waren nicht die ersten Seeleute, die an die Küste gespült wurden. Ein »Masatura-san« war ein »Masterson« gewesen. Englische Väter und melanesische Mütter hatten eine kräftige Rasse hervorgebracht – nachdem die sich dagegen auflehnenden Melanesier getötet worden waren. Wie die Engländer vor ihnen wiederholten die Japaner den Kreuzungsprozeß, und sie ließen dabei nur wenige Männer am Leben.
    Zu diesen wenigen gehörte Tai-i Masatura-sans Urgroßvater. Er wurde aus einem einzigen Grund verschont: Er war der Oberpriester der Gemeinschaft, schon seit fast einem Jahrhundert; die Insulaner wären für ihn gestorben; was viele auch taten.
    Dreihundert Jahre später hatte seine dritte Generation manche seiner Gaben geerbt. Eine davon war das »Tiefriechen« – kein Schnüffeln mit der Nase, sondern ein ganz anderes Sinnesorgan. Eine weitere war das Alter. Masatura-san war fast ein Jahrhundert alt. Das war das einzige, das er vor den Besitzern der seltsamen leisesprechenden Stimmen geheimzuhalten vermochte, die ihn auf seiner Insel entdeckt und ihm so viel für seine Hilfe versprochen hatten.
    Der »Tiefgeruch« der Welt jenseits der Barrikaden war sehr schlecht.
    Tai-i Masatura-san dachte gründlich nach und faßte dann einen Entschluß. Er ging zur Hütte und schubste seinen Adjutanten mit dem Fuß: »Splech nog zweimal mit dies Kell«, befahl er in Pidginenglisch. »Ich helfen.«
     
    Cornut verließ seine Frau, die entspannt lächelte und fest schlief. »Ich komme zurück«, flüsterte er und eilte mit Sergeant Rhame hinaus auf den Campus. Ein Wind kam auf, und Sterne brachen durch die jagenden Wolken. Auf dem Campus herrschte reges Treiben. Bei der Universitätsklinik warteten immer noch Hunderte von Leuten, nicht weil sie auf Impfung hofften – die Tatsache, daß der Impfstoff wirkungslos blieb, war bekanntgegeben worden –, sondern weil sie nicht wußten, wohin sie sonst gehen sollten. In der Klinik schufteten Mediziner unablässig und wiederholten ständig
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