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Tod den Unsterblichen

Tod den Unsterblichen

Titel: Tod den Unsterblichen
Autoren: Frederik Pohl
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ihn mit Ärger auf … »Entschuldige. Vielen Dank, Egerd.«
    Der Student ließ ihn los. Er war neunzehn Jahre alt, hatte kurzgeschnittenes rotes Haar und ein Gesicht, das gewöhnlich dunkelgebräunt, jetzt aber fast weiß war. »Schon gut.« Er wich vorsichtig zum Telefon zurück, ohne den Professor aus den Augen zu lassen. »Hallo. Ja, er ist jetzt wach. Vielen Dank für den Anruf.«
    »Sie sind fast zu spät gekommen«, sagte Cornut. Egerd zuckte die Achseln.
    »Ich gehe jetzt lieber, Sir. Ich muß noch … O guten Morgen, Master Carl.«
    Der Hausmaster stand in der Tür, schnatternde Studenten drängten sich hinter ihm und gafften hinein, um zu sehen, was der Tumult zu bedeuten hatte. Master Carl war groß, schwarzhaarig und hatte Augen wie Sternsaphire. Er hatte ein nasses Negativ in der Hand, von dem es auf die Gummifliesen tröpfelte. »Was, zum Teufel, ist denn hier los?« fragte er.
    Cornut öffnete den Mund, um zu antworten, erkannte dann aber, daß es ihm völlig unmöglich war, diese Frage zu beantworten. Er wußte es nicht! Das war ja das Schreckliche an den letzten fünfzig Tagen. Er wußte nicht, was, er wußte nicht, warum, er wußte nur, daß dies das neunte Mal gewesen war, bei dem er sich um ein Haar das Leben genommen hätte. »Antworte Master Carl, Egerd«, sagte er.
    Der Student zuckte zusammen. Carl war die Zentralgestalt seines Lebens; die Hoffnung eines jeden Studenten, das Examen zu bestehen, zu promovieren, dem Wehrdienst oder dem Arbeitsdienst in Lagern zu entgehen, hing von der Laune seines Hausmasters ab. Egerd stammelte: »Sir, ich … ich hatte eine Sonderaufgabe für Master Cornut zu erfüllen. Er bat mich, jeden Morgen fünf Minuten vor dem Wecken zu kommen und ihn zu beobachten, weil er …Darum … ja, darum hat er mich gebeten. Heute morgen habe ich mich etwas verspätet.«
    Carl sagte kühl: »Du hast dich verspätet?«
    »Ja, Sir. Ich …«
    »Und du bist unrasiert auf den Flur gekommen?«
    Der Student war wie vom Donner gerührt. Das Gedränge der Studenten hinter Carl löste sich schnell auf. Egerd wollte etwas sagen, aber Cornut schaltete sich ein. Er saß wackelig auf dem Rand seines Betts. »Laß den Jungen bitte ungeschoren, Carl! Wenn er sich die Zeit zum Rasieren genommen hätte, wäre ich tot.«
    Master Carl stieß hervor: »Also schön. Du kannst in dein Zimmer gehen, Egerd. Cornut, ich möchte wissen, was das alles heißen soll. Ich verlange eine ausführliche Erklärung …« Er machte ein Pause, als fiele ihm etwas ein. Er betrachtete das nasse Negativ in seiner Hand.
    »Nach dem Frühstück«, sagte er grimmig und schritt majestätisch zu seinen eigenen Gemächern.
     
    Cornut zog sich schwerfällig an und begann sich zu rasieren. In den letzten sieben Wochen war er jeden Tag um ein ganzes Jahr gealtert; auf dieser Basis, rechnete er aus, war er schon achtzig und damit ein ganzes Jahrzehnt älter als Master Carl.
    Sieben Wochen. Neun Selbstmordversuche.
    Und keine Erklärung dafür.
    Er sah nicht aus wie ein Mann, der so einfach zum schmalen Rand des Selbstmords schlafwandelte. Für einen Professor war er noch jung und wie ein Athlet gebaut, was auch den Tatsachen entsprach; als Student war er der Kapitän der Fechtmannschaft gewesen und noch immer ihr Berater. Sein Gesicht sah wie das Gesicht eines kräftigen gesunden Burschen aus, der aus irgendeinem Grund nicht genug geschlafen hatte, und auch das entsprach den Tatsachen. Sein Ausdruck war der eines Mannes, der tief bestürzt über eine unglaubliche, unentschuldbare Tat war, die er gerade begangen hatte. Und dies entsprach ebenfalls den Tatsachen.
    Cornut war bestürzt. Seine Torheit würde inzwischen auf dem ganzen Campus die Runde machen; zweifellos war schon vorher darüber gemunkelt worden, aber heute morgen hatten viele Zeugen dem Anfall beigewohnt, und das Gemunkel würde lauter werden. Da der Campus Cornuts ganzes Leben war, hieß dies, daß jeder lebende Mensch, auf dessen Meinung er irgendwelchen Wert legte, bald darüber Bescheid wüßte, daß er immer wieder versuchte, Selbstmord zu begehen – ohne einen Grund – ja, ohne, daß es ihm gelang!
    Er trocknete sich das Gesicht ab und war soweit, sein Zimmer zu verlassen – das hieß, ihnen gegenüberzutreten, aber darum kam er nun einmal nicht herum. Ein Bündel Briefe und Memoranden lag in der Postablage neben seinem Schreibtisch. Er blieb stehen, um sie durchzusehen: nichts Wichtiges. Er warf einen Blick auf seine Aufzeichnungen, die irgend jemand
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