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Tod Auf Der Warteliste

Tod Auf Der Warteliste

Titel: Tod Auf Der Warteliste
Autoren: Veit Heinichen
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Prepotto, in dem die vier wichtigsten Winzer des Karsts beheimatet waren. Aber sie mußten sich ohnehin erholen: von Burn-outs, die das Managerleben mit sich brachte, oder von der Langeweile des großen gesellschaftlichen Lebens und den Paparazzi, die hinter jeder Ecke lauerten. Golf- und Tennisplatz, Schwimmbäder, Masseure, Diätspezialisten und Visagistinnen, das ganze Beautyprogramm war auf dem großzügigen Gelände vorhanden. Und auch einen Reitstall mit ruhigen Pferden gab es. Arbeitsplätze für einheimisches Pflegepersonal allerdings hatte man kaum geschaffen. Viele der Assistenzärzte und Schwestern kamen, so munkelte man, aus dem östlichen Ausland und waren meist nur für drei Monate hier, mit Touristenvisum. Sie wurden wahrscheinlich schwarz bezahlt und von Mittelsmännern nach Bedarf geholt und wieder weggeschafft. Angeblich mußten alle, die in »La Salvia« arbeiteten, die Hauptbedingung der Klinik unterschreiben, bevor sie beginnen durften: eisernes Schweigen.
     

Weiße Nächte
    Und wieder diese Angst und dieser Wachtraum, der immer wieder das wiederholte, was längst unwiderruflich geschehen war. Wieder lag er seit vielen Stunden wach auf dem Diwan und war in Schweiß gebadet. Er fror, obgleich der Raum überheizt war. Er sah die Haarrisse im Stuck der Zimmerdecke und folgte ihnen mit den Augen. Eine feine, staubgraue Spinnwebe tanzte sanft in der aufsteigenden Heizungsluft. Er trug eine graue Anzughose, ein zerknittertes, weißes Hemd, dessen Kragen durchgeschwitzt war und gelbliche Ränder zeigte, und eine Weste, die zur Hose paßte. Obgleich er der schreibenden Zunft angehörte, legte er Wert auf gute Kleidung. Jeans trug er nur bei der Gartenarbeit, selbst für einen Spaziergang auf dem Karst zog er in der Regel Anzüge vor. Die Bartstoppeln, die die blasse, transparent wirkende Haut seiner eingefallenen Wangen bedeckten, standen dazu in krassem Gegensatz. Seit drei Tagen hatte er nichts gegessen und kaum etwas getrunken. Sein Gaumen klebte und ein pelziges Gefühl überzog die Zunge. Er mußte warten, bis endlich ein ohnmächtiger Schlaf die Bilder vertrieb.
    Vor eineinhalb Jahren hatte er die Tabletten, die ein befreundeter Arzt ihm verschrieben hatte, weggeworfen. Er war sich sicher gewesen, mit dem Umzug in die andere Stadt, in ein anderes Land, auch diese Attacken bewältigen zu können. Die Fortschritte seiner Nachforschungen hatten ihm neue Kraft gegeben.
    Erst vor einer Woche erhielt er eine letzte wichtige Information, die an der Richtigkeit seines Verdachts keinen Zweifel mehr ließ. Er vervollständigte daraufhin das Dossier, das mit seinen Belegen, Fotos und Dokumenten inzwischen den Umfang und die Detailgenauigkeit einer staatsanwaltlichen Beweisführung angenommen hatte. Er war weit vorgedrungen bei seinen Ermittlungen und wog sich in Sicherheit. Ihm als Unbekanntem könnte niemand auf die Spur kommen. Seine Verkleidungskünste hatte er immer weiter perfektioniert und auch den Autovermietern der Gegend guten Umsatz verschafft. An Geld mangelte es ihm nicht, und körperlich war er dank seines täglichen, disziplinierten Trainings weit besser in Form als andere Mittvierziger.
    Seit dem vorletzten Frühjahr hatte er sich nur noch auf diese Recherche konzentriert. Er war aus seinem früheren Leben verschwunden und hatte die meisten Kontakte zu den Redaktionen und seinen Bekannten abgebrochen. Nur mit einer Handvoll Freunden hielt er Verbindung, wenn er sie für seine Nachforschungen brauchte. Als er merkte, daß man ihn nach dem dritten Besuch in den Läden Triests und des Umlands wiedererkannte, freundlich begrüßte und über das Wetter sprach, zog er für seine Einkäufe Supermärkte und Kaufhäuser vor. Das Ende seiner Ermittlungen stellte ihn auf eine harte Probe.
     
    Sein Albtraum begann immer mit der gleichen Szene, die unbeweglich vor ihm stand und erst wich, wenn sich andere Bilder über sie schoben. Eines nach dem anderen. Langsamer als jede Zeitlupe. Der geöffnete Körper, den er unbedingt sehen wollte, obgleich man mit allen Mitteln versucht hatte, ihn davon abzubringen. Dennoch hatte er sich Zugang verschafft: Bekleidet mit einem Arbeitskittel und Gummischuhen des Reinigungspersonals, war er schließlich zu den Kühlkammern der Gerichtsmedizin im 6. Pariser Arrondissement vorgedrungen. Dort fand ihn die echte Putzkolonne vor, zusammengesunken über dem Leichnam einer Frau, deren Torso ein schlampig zugenähter, rotblau geränderter Schnitt vom Schambein bis zum Hals
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