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Tod auf der Piste

Tod auf der Piste

Titel: Tod auf der Piste
Autoren: Nicola Förg
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seine Startnummer.«
    Irmi beobachtete sie genau. Sie hatte sich wieder im Griff. »Und wer ist der Kurtl?«
    »Das ist sein Bruder. Oder besser gesagt: war sein Bruder. Der Kurt hat sich 1983 umgebracht«, sagte Maria Buchwieser. Ihr Blick verdüsterte sich. Irmi spürte, dass da plötzlich eine Woge Vergangenheit heranrollte, so mächtig, dass die zarte Frau ihr nicht gewachsen war. Irmi schwieg. Es verging eine Weile, bis Maria Buchwieser Irmis Blick suchte.
    »Der Kurt war sein jüngerer Bruder. Er hat immer im Schatten vom Ernst gestanden, aber eigentlich hat jeder in seinem Schatten gestanden. Ich ja auch. Ernst hatte immer schon etwas von einem Guru. Er hatte nicht nur Feinde, sondern auch seine Anhängerschaft. So lange die Anhänger nur schwach waren.« Sie stockte.
    »Sie auch? Fühlten Sie sich schwach neben dem Philosophen?«, fragte Irmi vorsichtig nach.
    »Ja, als ich Ernst kennenlernte, war ich wie verzaubert. Er konnte so gut reden. Er wollte die Welt verändern, er war komplett anders als die Jungs, die ich sonst kannte. Wir saßen stundenlang an der Loisach, warfen Steine ins Wasser, und Ernst hat seine Theorien von einer besseren Welt ausgebreitet. Ich konnte ihm immer nur zustimmen, seine Sätze waren klar, so voller Leuchtkraft. Seine Freunde und ich, wir konnten nicht so schön formulieren wie er, wir konnten nur nicken und applaudieren.«
    In diesem Wort »applaudieren« schien so viel zu liegen. »Aber ständiger Applaus korrumpiert doch, oder?«, meinte Irmi.
    »Ja, ich denke auch, das ging in Richtung Größenwahn. Alles flog ihm zu. Er war ohne Anstrengung einer der Besten in der Schule, er hatte seinen Fanclub, er hatte Mädchen…« Sie stockte und lachte bitter auf.
    »Nicht bloß Sie?«
    »Nein, aber ich wollte das nicht sehen. Letztlich war ich ja immerhin seine Offizielle. Und ich war cool, so cool, wie wir alle waren in den Achtzigern. Wir haben uns das Hirn weggekifft, die Welt gerettet, und Sex war nichts als ein Spiel.« Ihr Lächeln war eine Mischung aus Wehmut und Bitternis.
    Irmi kam ein Lied in den Sinn. Von Kid Rock: »We were smoking funny things, making love out by the lake to our favourite song, sipping whiskey out the bottle, not thinking ’bout tomorrow.«
    »Ja, genau so war es. Aber heute in der Rückschau weiß ich natürlich, dass das wohlige Schauern, zur Topclique zu gehören, eine böse Falle gewesen ist. Ich habe schon damals einen hohen Preis bezahlt. Und Kurtl auch.«
    Irmi kannte diese Frau erst eine halbe Stunde und fühlte sich ihr dennoch sehr nah. Es war ein gutes Gespräch, sie musste nicht mal korrigierend eingreifen, nicht bitten oder insistieren, Maria Buchwieser kam ganz von selbst wieder auf Kurt zu sprechen.
    »Kurt musste sich alles hart erarbeiten. Er war nicht brillant und visionär, er war ein erdiger Typ.« Sie stockte. »Ich hätte damals ihn nehmen sollen. Mit Kurt wäre man nicht so hoch geflogen, aber auch nicht so tief gefallen. Mit Ernst flog man bis zu den Sternen und war plötzlich einsam, weil die greifbare Welt so weit weg war. Mit ihm erreichte man die Sonne und verbrannte. Wir alle in seiner Umgebung waren nicht für den Flug durch den Orbit geboren. Wir hatten Angst und Brandblasen, aber ihm machte das alles nichts aus, und er hatte auch keinen Blick dafür, dass sich die Menschen an seiner Seite verletzten. Und vor allem sah er nicht, dass er schuld war an diesen Verletzungen! Kurt hat ihn genauso bewundert wie ich.«
    Irmi lauschte ihren Worten nach. Maria Buchwieser fuhr fort.
    »Aber dann hatte Kurt etwas Eigenes. Etwas, wo er Ernst überrunden konnte. Er wurde im Skisport richtig gut, eben weil er so hart trainierte. Er war verlässlich im Riesenslalom und tanzte wie ein Gott durch die Tore. In der Saison 1977/78 fuhr er den ganzen Winter Top-Ten-Platzierungen ein. Dann war da diese Heim-WM in Garmisch. Alle wollten Kurt Buchwieser ganz oben auf dem Siegertreppchen sehen. Er hätte das Zeug gehabt, Frommelt und Gros, ja sogar Stenmark zu schlagen.«
    Irmi überlegte, aber außer beim Namen Stenmark taten sich bei ihr da keinerlei Fenster auf. Skisport hatte sie nie interessiert.
    »Nach dem ersten Durchgang lag Kurt auf Platz zwei. Hinter Stenmark. Es war, als hätte der ganze Gudiberg vibriert. Ich fühle die Gänsehaut noch heute, es war unbeschreiblich. Und dann startete Kurt in den zweiten Durchgang. Er war wahnsinnig schnell, er hatte plötzlich Rücklage, er rettete sich in einem Kamikazemanöver, es war dramatisch. In
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