Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod auf der Piste

Tod auf der Piste

Titel: Tod auf der Piste
Autoren: Nicola Förg
Vom Netzwerk:
elterlichen Raumausstatterbetrieb gerade beendet. Zwar war er weniger der Kreative, aber die handwerklichen Arbeiten wie Polstern und so weiter, die taugten ihm. Er war wenige Tage vor dem Rennen achtzehn geworden und damit volljährig. Und dann begann er mit undurchsichtigen Amis in irgendwelchen Clubs herumzuhängen. Sind Sie aus Garmisch?«, fragte sie plötzlich.
    »Aus Eschenlohe beziehungsweise aus Schwaigen«, erwiderte Irmi.
    »Na, dann kennen Sie ja das alte Garmisch. Die Spielbank am Marienplatz, das Nachtleben. Garmisch war Ende der Siebziger ein Hotspot, würde man heute sagen. Ich glaube, damals gab es dreihundert Lokale und bestimmt sechs Diskos für vielleicht fünfundzwanzigtausend Einwohner. Da ging was ab, und wenn man zur Szene gehörte, war man geadelt. Und wenn nicht, gab es genug Absturzspelunken, genug Drogen.«
    Irmi erinnerte sich. Die feenhafte Maria und Ernst, der Held, die Clique der Reichen und Schönen – all das lag so weit außerhalb ihrer damaligen Gedankenwelten, außerhalb ihrer Reichweite. Diskotheken waren ohnehin nicht ihr bevorzugter Aufenthaltsort gewesen. Klar, sie war mit ihren damaligen Freunden schon mal im Evergreen gewesen, in der Handwerkerdisco, in der Disco fürs Fußvolk. Sie hatte auch mal staunend im Surprise gestanden, wo nach drei alles auflief, was die anderen Kneipen ausgespuckt hatten: die Alkis, die Kiffer, die Schönen, die noch nicht heimwollten. Der Disco-Stampfsound war nicht nach ihrem Geschmack gewesen. AC/DC schon eher, »Highway to Hell«… Eigentlich ein schönes Lebensmotto. Irmi lächelte Maria Buchwieser an.
    »Ich nehme an, wir haben in unterschiedlichen Kreisen verkehrt. Ich war zum Beispiel noch nie im John’s Club, Sie vermutlich schon, oder?«
    Maria Buchwieser lächelte zurück. »Ja, das war die schwerste Tür im Oberland, wahrscheinlich schwerer als die Türen in München. Diese adlige Türsteherin damals!« Sie schüttelte den Kopf. »Dieses Omaambiente auf höchstem Niveau, die Kerzenleuchter, das Piano auf der Tanzfläche. Es war ein skurriler Laden, und mir wurde 1978, mit gerade mal achtzehn Jahren, die Ehre zuteil, da rein zu dürfen. Natürlich nur wegen Ernst oder in dem Fall sogar wegen Kurt.«
    »Wegen Kurt?«
    »Na ja, John, der Besitzer, schmückte sich gern mit Exzentrikern und Künstlern, er war ja selber einer. Aber so ein junger Skistar, der putzt doch auch, der poliert das Image auf. Kurt hat sich da eigentlich nie so richtig wohlgefühlt. Aber John hatte ja damals schon eine gewaltige Auswahl an Whiskys, scheißteures Zeug. Der wurde ausgegeben, und nach vier Whisky wurde aus dem kreuzbraven unsicheren Kurt eben doch der weltmännische Skistar. Er hatte Sex mit Münchnerinnen, die bestimmt fünfzehn Jahre älter waren als er. Am nächsten Morgen schüttelte er sich zurecht, schnallte sich die Skier an, und dann war er wieder Kurt. Kurt Buchwieser, der klare Typ, dessen Bedürfnisse im Gegensatz zu seinem Bruder nicht im Himmel lagen, sondern festgezimmert waren auf der Erdoberfläche.«
    Maria Buchwieser schwieg eine Weile, ehe sie fortfuhr: »Aber dieses Schwanken zwischen den Welten brachte ihn aus der Balance. Er verzockte Geld, er soff zu viel. An seinem zwanzigsten Geburtstag lieferten sie ihn mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus ein. Trotzdem hat er es irgendwie geschafft zu arbeiten, und als der Vater starb, übernahm er mit einundzwanzig den Laden. Er machte den Meister, und es sah so aus, als hätte er sich wieder gefangen. Es ging etwa zwei Jahre ganz gut. Zu dem Zeitpunkt hatte er auch eine feste Freundin, Sabine aus Murnau.«
    Maria Buchwieser stand auf und ging zur Terrassentür. Plötzlich sagte sie eruptiv: »Irgendwann hat Kurt seine Freundin mit Ernst im Bett erwischt. In seinem eigenen, zu allem Überfluss.«
    »Und Sie, waren Sie damals noch mit Ernst zusammen?«
    »Wieder. Ich weiß gar nicht, zum wievielten Mal. Ich hatte in Regensburg studiert, Ernst in München, dann war Sendepause, aber irgendwie kamen wir wieder zusammen. Wir waren höchstens ein paar Wochen beieinander, als das mit Sabine…«
    Irmi konnte sich vorstellen, wie die Geschichte weiterging. Maria und Kurt, die um ihr Leben Betrogenen, die mit den Brandblasen, die vom hellen Sonnenlicht Geblendeten, sie beide hatten reagieren müssen. Sanft fragte sie nach: »Konnten Sie Kurt helfen oder er Ihnen?«
    Das Lachen hätte bitterer nicht sein können. »Wir haben geredet, nächtelang. Wie haben uns an den Händen gehalten wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher