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Tod auf der Piste

Tod auf der Piste

Titel: Tod auf der Piste
Autoren: Nicola Förg
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Prolog
    Langsam lief sie rot an. Das Gebrüll hörte man wahrscheinlich noch in Lermoos. Sie schnappte nach Luft, und fast schien es, als würde sie hyperventilieren. Man muss ihr eine Tüte über den Kopf ziehen, fiel Kathi spontan ein. Aber man zog seiner eigenen Tochter nun mal keine Tüte über den Kopf, auch nicht wenn sie gerade mal wieder eine ihrer legendären Trotzattacken auslebte. Heute ging es um eine Übernachtung in einem Stadel am Waldrand.
    »Alle dürfen!«, schrie Sophia.
    »Du aber nicht!«, brüllte Kathi zurück.
    »Du bist so blöd, du bist die blödeste Mutter auf der Welt«, kreischte das Mädchen.
    »Du bist blöd, an so was überhaupt zu denken. Du bist acht Jahre alt, du hast morgen Schule, es ist April und hat nachts Minusgrade. Keine vernünftige Mutter erlaubt so was.« Kathi war auf hundertachtzig, denn Sophia war ein richtiger Sturschädel.
    »Du bist eh keine vernünftige Mutter. Du bist ja nie da!« Sophia stampfte auf wie Rumpelstilzchen.
    Grete, Kathis Mutter, kam langsam auf sie zu. »Sie beruhigt sich schon wieder, du darfst dich nicht so provozieren lassen.«
    »Danke, die Superoma hat gesprochen.« Schon in dem Moment, als der Satz vollendet war, wusste Kathi, dass sie besser erst denken und dann hätte reden sollen. Grete setzte nämlich sofort diesen waidwunden Geprügelte-missverstandene-Mama-Blick auf, diesen Ich-tu-doch-so-viel-für-dich-Blick.
    Und es stimmte ja leider auch: Grete tat viel für sie. Ohne Grete hätte Kathi ihrem Job nicht nachgehen können. Ohne Grete hätte Sophia kein Zuhause mit Mittagessen und Hausaufgabenhilfe, mit einem riesigen Kinderzimmer in einem ehemaligen Außerferner Bauernhaus. Ohne Grete, die ab und zu in der Krone bediente, wäre Sophia nicht das Maskottchen der Wirtschaft, das beim Kuchenbacken helfen durfte. Ohne Grete, die ein aktives Mitglied im Skiclub war, wäre Sophia nicht dauernd in Bichlbach auf der Piste. Ohne Grete, die wahrscheinlich demnächst die goldene Außerfernbahn-Fahrgast-Medaille bekommen würde, hätte es keine ständigen Ausflüge nach Reutte gegeben, keine Ritterfeste auf Burg Ehrenfels. Ohne Grete hätte Sophia keine so kunterbunte Kindheit.
    Doch noch ehe Kathi etwas zurechtrücken konnte, intonierte ihr Handy einen Song von The Rasmus. Sie meldete sich mit »Hier Kathi Reindl«, lauschte mit zunehmender Verwunderung und sagte dann: »Ja, ich komme so schnell es geht. Ruft ihr Irmi an?«
    Grete schenkte ihr einen fragenden Blick.
    »Ich muss weg«, erklärte Kathi. »Die Sacher müsst ihr allein essen.«
    »Siehst du!«, kam es von hinter ihr. »Du bist nie da!«
    »Ach, Madel«, sagte Kathi und machte eine linkische Bewegung in Richtung ihrer Tochter. Aber die hatte längst dem Terriermischling gepfiffen und rannte davon. Kathis Blick blieb an den Überresten eines zusammengeschmolzenen Schneemanns hängen. Sie war wütend. Der Tag war definitiv im Eimer.
    Kathi Reindl startete ihren Panda mit Allradantrieb, denn Frau Holle konnte hier am Tiroler Zugspitzplateau manchmal ganz schön Schnee ausschütteln. Wie oft war sie die Strecke nach Garmisch wohl gefahren? Durch Lermoos, am Golfplatz entlang, durch die Unterführung, an der spacigen Tankstelle im Nowhere-Land vorbei, runter ins Schattenloch Griesen. Jedenfalls so oft, dass sie bei jeder Kurve wusste, mit welcher maximalen Geschwindigkeit man diese gerade noch nehmen konnte.
    Der Ast schnalzte zurück und peitschte regelrecht ihre Schulter. Das war knapp gewesen. Hätte sozusagen ins Auge gehen können. Irmi Mangold stellte die Stihl ab und musste grinsen. Das war ihr kleines persönliches Revoluzzertum: Sie hatte wieder mal keine Schnittschutzhose an und keine Schutzbrille. Nur den Helm mit den Schallschutzhasenohren, die eh nicht richtig die Ohren umschlossen, weil die Bügel schon so verorgelt waren. Bernhard, ihr Bruder, ermahnte sie beständig, nicht allein ins Holz zu gehen, und wenn, dann in vernünftiger Schutzkleidung. Er hatte natürlich recht, aber bisher war es immer gutgegangen. Wie gerade eben auch. Und das löste in ihr eine gewisse diebische Freude aus.
    Sie warf den Rest der Dachsenprügel auf den Anhänger und startete den alten Deutz. Der holperte und röhrte so laut los, dass sie den Anruf nur durch die Vibration des Handys in ihrer Cargo-Jeans spürte.
    »Was? Ich versteh nix. Moment, ich stell den Bulldog ab!«
    Irmi hörte eine Weile zu. »Na, so schnell wird das nicht gehen«, sagte sie schließlich und zog die Stirn kraus. »Ich bin
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