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Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)
Autoren: Daniel Twardowski
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nicht bemerkt hatte. Kurz überlegte der Leutnant, ob er nicht still und leise wieder verschwinden sollte, aber auch ihn hatte diese Reise den gesamten Urlaub gekostet, den er als Ausbildungsoffizier in Friedenszeiten bekommen konnte. »Hipp, hipp«, sagte er deshalb und schob sich mit einem möglichst gewinnenden Grinsen ins Blickfeld seines erst erstaunten, dann verärgerten, schließlich aber doch amüsierten Konkurrenten.
    »Sie also auch!«, stellte Turner fest.
    »Höchstselbst!«, erwiderte sein Gegenüber.
    »Silence!«, zischte es von einem der umliegenden Tischchen, wo ein unbekannter französischer Gelehrter in Leben und Werk Théodore Agrippa d’Aubignés einzudringen versuchte. Daraufhin schlug der lesende Offizier krachend sein Buch zu und fragte laut: »Darf ich Sie zu einem Glas Wein einladen, Herr Kamerad?«
    »Wäre mir eine Ehre, Sir!«, erwiderte der Leutnant, wobei er die Hacken zusammenschlug, und als der erboste kleine Franzose sich umdrehte, sah er nur noch zwei englische Kriegskameraden, die sich und ihn so verschlagen angrinsten wie Schuljungen, die bei nächstbester Gelegenheit einen verheerenden Anschlag auf die Würde ihres Lehrmeisters verüben würden.
     
    Hinterher wusste er alles, was auch der Leutnant wusste. Alle Namen, den Kenntnisstand jedes Einzelnen und wer wo überall schon gesucht hatte oder noch suchte. Fast eine kleine Geheimgesellschaft war da entstanden, während er im Krieg gewesen
war; sehr lose und stets misstrauisch assoziiert, deren Mitglieder sich meist wie zufällig trafen und dann mit dem zähen, leicht selbstironischen Fanatismus passionierter Bücher- oder Schmetterlingssammler einander den Mund wässrig machten. Bei manchen lagen, mit zunehmender Erfolglosigkeit und abnehmenden finanziellen Mitteln, die Nerven blank. Die gaben es auf oder wurden wieder vernünftig. Und auch der Leutnant versprach nach einem ausführlichen Abendessen und mehreren Flaschen Wein, das Feld zu räumen. Ein Hasenfuß! Schon auf der Krim und nun auch, laut eigener Aussage, in Indien immer erfolgreich bemüht gewesen, sich weitab vom Schuss aufzuhalten. Und so etwas war nun Ausbilder mit vollen Bezügen.
    Hartnäckig war ein Kolonialbeamter namens Thompson, der angeblich sogar eine Reise nach St. Helena ins Auge gefasst und nur wegen fehlender Mittel wieder aufgegeben hatte. Ein Einziger, Aufklärer, Kartenzeichner, hatte den Gerüchten zufolge die Archivrecherchen bereits abgeschlossen und konkretere Schritte auf dem Weg von Waterloo nach Paris unternommen. Für die meisten war es nach wie vor nur ein Hobby, eine Liebhaberei. Nur Mad Hatter beschloss in dieser Nacht, allein in seinem kleinen Pensionszimmer, dass Napoleons Schatz, ob vorhanden oder nicht, sein Eigentum war, das er nicht zu teilen gedachte und mit allen Mitteln verteidigen würde.
    Nachdem er wenig später das Schiff entdeckt und seine Geschichte erforscht hatte, kostete es ihn noch fast zwei Jahre hartnäckiger Wühlarbeit, zahllose Eingaben, Petitionen, Fürsprachen, bis er an Bord und endlich auch wieder auf See war.

122.
    Es war ein Spätsommertag, dessen schwere, kraftstrotzende Schönheit man atmen konnte. Die Leinen der Takelung schnurrten in einem schon frischen, aber noch nicht schneidenden Wind. Männer aller Hautfarben trugen Nahrung, Frachtgut, Ballast über mehrere breite Ladeplanken auf den Rücken des Schiffes, in seinen Bauch.
    Auf einem Fass, ein Bein lässig aufgestellt und bequem an einen Stapel großer Holzkisten gelehnt, saß ein baumlanger Kerl von ungefähr vierzig Jahren, mit feuerroten Haaren, die sich auf der Stirn schon merklich gelichtet hatten. Er überwachte das Laden mit Blicken, die schläfrig schienen. Ben hielt ihn für den Kapitän, schlich eine Weile unschlüssig um ihn herum und blieb schließlich mitten in seinem Blickfeld stehen.
    »Was willst du, Junge?«, fragte der Mann, und es klang eher so, als hätte er gesagt: »Verschwinde von hier!«
    »Ein schönes Schiff, Sir«, sagte Ben, der glaubte, mit einem Kompliment weiterzukommen.
    »Wirklich?«, antwortete der Mann ironisch. »Also jetzt, wo du’s sagst … Ja, sie ist eigentlich ganz hübsch.« Einige der Leute lachten leise über diese Bemerkung ihres Offiziers, woraus ein erfahrenerer Beobachter als Ben geschlossen hätte, dass er ein Mann war, den man respektierte, aber nicht fürchtete.
    »Wohin fährt das Schiff?«, fragte der Junge schüchtern, und sein Blut begann laut in den Schläfen zu klopfen.
    »Westindien«,
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