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Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)
Autoren: Daniel Twardowski
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Thompson, weniger reflektiert, unbewusst, fragte sich: Wer ist John Gowers?

12.
    Als sie alles erzählt hatte – von ihrem Vater Samuel Thompson, der unterwegs gewesen war, um Gouverneur von St. Helena zu werden, der sich auf diese Aufgabe gefreut hatte wie seit Jahren auf nichts, seit seine Frau, ihre Mutter, gestorben war – als sie alles erzählt hatte, waren die Augen des Mannes noch immer geschlossen. Und obwohl er keine Miene verzog, hatte Emmeline Thompson das unangenehme Gefühl, dass er mehr wusste, als sie gesagt hatte.
    Dieses Gefühl empörte sie. Sie hatte es zum ersten Mal als junges Mädchen empfunden, als im Verlauf einer hartnäckigen bronchialen Erkrankung ein Arzt ihre Brust abgeklopft und angesehen hatte. Zwar war sie diesmal nicht nackt. Aber dieser Detektiv oder Investigator oder wie immer er sich nannte, hatte auch nicht das vertrauenswürdige Alter oder den vertrauenerweckenden Bart wie der Arzt damals, der immerhin
auch ihre Mutter behandelt hatte. Was wusste sie von John Gowers?
    Nur, dass sein Name als erster gefallen war, als man ihr auf dem Polizeirevier gesagt hatte, dass man für einen Mord auf hoher See nicht zuständig sei, schon gar nicht an Bord eines englischen Schiffes und noch weniger bei dem dringenden Verdacht auf Selbstmord. Da würde sie sich einen privaten Ermittler suchen müssen. War Gowers Name als erster gefallen, weil er so gut war? Oder einfach, weil sein Büro in der Nähe des Hafens lag?
    Er sah nicht sehr eindrucksvoll aus, eher harmlos, bis auf irgendetwas in seinen Augen, das sie beunruhigte. Er war allenfalls zehn Jahre älter als sie, kaum über dreißig, nicht besonders groß, nicht besonders kräftig. Nach seiner Kleidung und seinem Büro zu urteilen, nicht einmal besonders erfolgreich. Was würde so jemand schon tun können?
    Gowers wusste, dass sie unglücklich war. Schon unglücklich gewesen war, als sie England verlassen hatte. Und auch schon zwei Jahre vorher, genau genommen seit dem Tod ihrer Mutter. Das war der Moment, in dem ihr Leben abknickte wie eine Blume. Bis dahin mochte es Verehrer gegeben haben, Konzerte, Tanzabende. Seither gab es nur noch einen trübsinnigen Vater, die Pflichten einer Haushälterin und die Aussicht auf zehn Jahre Verbannung auf einem Felsen im Atlantik. Nicht gerade das, was man mit zwanzig, zweiundzwanzig vom Leben erwartet.
    »Also während der Überfahrt …« Gowers öffnete die Augen wieder.
    »Vor einer Woche«, sagte Emmeline Thompson gereizt. Dann legte sie sekundenlang eine Hand auf ihren Mund, als würden ihr erst in diesem Augenblick die Kürze der Zeitspanne und die Tragweite der Tatsachen bewusst. »Mein Gott, erst vor einer Woche.«
    »Wie genau … wodurch ist der Tod eingetreten?«
    »Aufgehängt«, sagte sie sehr leise, entsetzt darüber, selbst auszusprechen, was sie nicht glauben wollte. Ihre Lippen begannen zu zittern, und wieder versteckte sie es in der hohlen Hand. »Sie sagten, er hat sich aufgehängt, aber das stimmt nicht. Er war nicht … so verzweifelt.« Die Worte kamen zunehmend schwerer, das Gewicht auf ihrer Brust wuchs, ihre Brauen zogen sich ein wenig zusammen.
    Gowers, der schon einige treulose Ehemänner überführt und logischerweise mit ebenso vielen betrogenen Ehefrauen zu tun gehabt hatte, deutete diese Anzeichen richtig und bot ihr ein blütenweißes Taschentuch aus der obersten Schreibtischschublade an. Der Anblick kostete sie endgültig ihre Fassung. Ein sieben Tage lang zurückgehaltenes Schluchzen brach aus Emmeline Thompson heraus.
    Gowers zog sich taktvoll zum Fenster zurück und sah hinaus. Erst als er den Geräuschen entnehmen konnte, dass sich seine Klientin wieder im Griff hatte, fragte er weiter.
    »Wo? Ich meine, wo hat man ihn gefunden?«
    Sie schien beinahe froh, dass es nun wieder um eine rein technische Angelegenheit ging, zu der ihr allerdings das Vokabular fehlte.
    »An der … An diesem Ding …«
    »An der Rah?«
    »Ich weiß nicht, wie man das nennt, das Querding am Mast.«
    Gowers war froh, dass er immer noch aus dem Fenster schaute, denn er musste unwillkürlich lächeln, als plötzlich alles vor ihm auftauchte: Royalrah, Bramrah, Marsrah, Großrah, Begienrah … Das Querding am Mast!!
    England ist auch nicht mehr das, was es mal war, dachte er, als er sich wieder zu Emmeline Thompson umdrehte.

13.
    Wenn es keine so gute Gelegenheit gewesen wäre, New York zu verlassen, hätte er ihr geraten, die Sache zu vergessen, nach England zurückzukehren und ihr
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