Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)
Autoren: Daniel Twardowski
Vom Netzwerk:
hatte, und zerschnitt sich die Finger an der scharfen Schneide. Der Griff
schien aus Gold zu sein und ragte gut anderthalb Fuß weit aus seinem Körper hervor.
    »Ich sehe, Sie interessieren sich für die Waffe, Charlie«, sagte der Mörder trocken. »Keine gewöhnliche Klinge, wissen Sie. Ein Ehrendegen, verliehen an Major Burtlock, für hervorragende Verdienste während der indischen Rebellion.«
    Turner hatte begonnen, auf allen vieren zur Tür zu kriechen, wobei der Degengriff schwankte wie ein Grashalm. »Hilfe!«, flüsterte er und hinterließ eine breite Blutspur im Zimmer, ehe der Mörder ihn durch einen Tritt in den Hintern zu Fall brachte. Seit er das Zimmer betreten hatte, waren noch keine fünf Minuten vergangen.
    Der tödlich Verwundete zog sich jetzt langsam zum Bett hoch, wogegen der Mörder nichts zu haben schien. Turner wollte immer noch schreien, aber da die weitaus meisten seiner Bauchmuskeln durchschnitten waren und nur noch zu ziemlich sinnlosen Kontraktionen in der Lage, kam nicht mehr als ein Wimmern über seine Lippen, dem verzweifelten Weinen eines Kindes vergleichbar. Er krümmte sich auf dem Bett zusammen, in der kleinen Mulde, die Madeleines schmaler Körper hinterlassen hatte, und versuchte noch einmal vergeblich, die Klinge aus seinem Leib zu ziehen.
    Der morgendliche Eindringling hatte seinen Hut wieder aufgesetzt und betrachtete sich im Spiegel. Hinter sich erkannte er das Bett, und er fragte sich, wie er es in Hotelzimmern schon häufig getan hatte, was ein solcher Spiegel wohl schon alles gesehen hatte. Dann wandte er sich wieder seinem Opfer zu, dem inzwischen Blut aus Mund und Nase lief, das aber noch bei vollem Bewusstsein war.
    »Immer noch nicht tot?« Er zog den Degen ein Stückchen heraus und drehte ihn in der Wunde, sodass die Schneide Richtung Kopf zeigte. Turner schrie nun doch, aber es klang wie ein
helles Gurgeln, und das Blut vor seinem Mund wurde schaumig. Keuchend trieb der Mörder die Klinge durch Eingeweide und Muskeln zum Brustbein hoch, eine schwere, langsame Arbeit, bei der seine Worte seltsam abgehackt wirkten.
    »Nun müsste – aber langsam – Ihr Herz kommen – alter Junge!«
    Der Körper hörte endlich auf zu zucken, Charles Turner war offensichtlich tot. Aber wenn es stimmt, dass die Seelen der Verstorbenen noch eine Weile am Ort ihres Todes herumschweben, ohne Hass, im vollkommensten Frieden von der Zimmerdecke zurückschauen, dann konnte die Seele des Leutnants über seinen jetzt regelrecht geschlachteten Körper hinweg beobachten, wie der Mörder langsam, als müsse er jeden Schritt bedenken, ans offene Fenster trat und in der hereindringenden Brise tief durchatmete.
    Falls man auch noch etwas hört, außer der Stille vor dem Einsatz der himmlischen Chöre, vernahm Turner die wie sinnlos dahingemurmelten Worte: »Die See, Charlie, die See!«
    Weit hinten am Strand war schon früh am Morgen ein junges Mädchen im Sommerkleid mit ihrem Hund unterwegs. Sie warf ein Stöckchen, und das alberne Tier sprang ihm nach in die kurzen, kalten Wellen.
    Danach soll man angeblich ein helles Licht sehen.

10.
    HARPER’S WEEKLY, Journal of Civilization , stand dem Tammany-Ring und seinen korrupten Mitgliedern unversöhnlicher gegenüber als jede andere Publikation. Diese Feindschaft und Caroline Blandon – (gut gewachst und schimmernd von Silbernitrat, wie er obszön dachte) – brachten Gowers doch
noch eine beachtliche Summe ein, obwohl sie das Bild natürlich nie veröffentlichen würden. Wahrscheinlicher war, dass die Zeitung mit diesem Druckmittel einen hochrangigen neuen Informanten aus dem direkten Umfeld des verhassten Rathauschefs gewann.
    Sicher war hingegen, dass der Senator Mittel und Wege finden würde, sich zu revanchieren. Nicht heute, nicht morgen, aber irgendwann in einer der dunklen Straßen, die zu betreten Gowers in seinem Beruf kaum vermeiden konnte. Jeder neue Klient konnte ein Strohmann sein, jede neue Ermittlung in eine Falle führen. Er schwor sich, nie wieder für einen Politiker zu arbeiten, und begann, seine Sachen zu packen. Wie immer fiel ihm dabei seine Mutter ein. Durch so endlos viele Zimmer, Pensionen waren sie gemeinsam gezogen und hatten bisweilen zweimal im Monat die Bleibe gewechselt, halb auf der Flucht, halb auf der Suche nach einem besseren Leben. Was ihm davon geblieben war, waren die Leichtigkeit, mit der er sich von Dingen trennen konnte, die er nicht mehr brauchte, und ein sicheres Gespür dafür, welche Dinge das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher