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Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)
Autoren: Daniel Twardowski
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Leben von vorn zu beginnen. Nichts war schwieriger, als irgendetwas ergründen oder gar beweisen zu wollen, was auf hoher See geschehen war. Aber Gowers sah sich bereits an Bord dieses Schiffes und ließ sich davon nicht abschrecken.
    Samuel Thompsons Passage nach St. Helena war bezahlt, er würde also auf Kosten des Toten reisen – genau genommen sogar noch sieben Tage länger. Wieder hätte er ihr fast ins Gesicht gelächelt, denn so deutlich wie seit Jahren nicht mehr fiel ihm ein, dass sein Vater ein Schotte gewesen war. Wie konnte er der jungen Dame seinen Plan klarmachen?
    Emmeline Thompson hatte schon viel von der Rücksichtslosigkeit und Geldgier der Amerikaner gehört. Der Dollar war ihre Moral, ihre Tradition, der Gott, dem ihre Gebete galten. Dass überhaupt jemand auf die Idee kam, am Unglück anderer Menschen Geld zu verdienen, hatte ihr im Verlauf der letzten peinlichen Minuten den Berufsstand der privaten Ermittler vollends suspekt gemacht, ihre anfängliche Empörung bestätigt. Dennoch leuchtete ihr seine Feststellung, dass eine sinnvolle Ermittlung nur an Bord des Schiffes selbst möglich sei, unmittelbar ein. Auch dass diese kaum in den anderthalb Tagen der New Yorker Liegezeit stattfinden konnte, begriff sie sofort. Warum hatte sie nicht selbst daran gedacht? Nun würde sie für diesen simplen Rat viel Geld bezahlen müssen.
    Sein Angebot, die Reise aus diesem Grund mitzumachen, überraschte sie nicht nur so sehr, dass ihr Unterkiefer herunterklappte, es erschreckte sie auch. Wie viel um Himmels willen
sollte denn das kosten? Als er eine lächerlich geringe Summe nannte, trank sie doch einen Schluck Portwein. Und als er das Fenster schloss, einen fertig gepackten Reisesack hinter dem Vorhang hervorholte und ihr auffordernde Blicke zuwarf, lachte sie trotz all ihrer Verzweiflung.
    »Sie … Sie wollen sofort mitkommen!? Einfach so? Nach St. Helena?«
    »Ja«, sagte Gowers schlicht, wenn er auch hoffte, den Fall schon früher aufzuklären.
    Emmeline Thompson hatte schon viel von der zupackenden, spontanen Art der Amerikaner gehört. Dennoch lief ihr ein Schauer den Rücken hinunter, bekam sie Angst, dass sich die Haare in ihrem Nacken sträuben könnten – als ein Mann ihren Arm ergriff, der in weniger als fünf Minuten bereit war, seine ganze Existenz hinter sich zu lassen. Woher hätte sie wissen sollen, die lange so wohlbehütete Tochter, das Bürgerkind, dass er genau das seit frühester Kindheit gewohnt war?

14.
    Das Stottern, Stocken seiner Klientin auf dem Weg zum East River Seaport und die Offensichtlichkeit, mit der sie sich fragte, wer von ihnen beiden den Tag nur träumte, brachten Gowers noch einmal zum Nachdenken. In erster Linie über seinen Plan, aber auch ein wenig über den bevorstehenden Fall.
    Die Untersuchung hatte sich auf den Augenschein beschränkt. Auf einem Schiff fragte niemand lange nach möglichen Todesursachen, wenn ein Mann aufgeknüpft an der Großrah baumelte. Da die Kleidung des toten Samuel Thompson keinerlei Spuren eines Kampfes oder sonstiger Gewalteinwirkung
aufwies, der Körper keine Kratzspuren, Platzwunden oder Ähnliches, schloss man auf allgemeinen Lebensüberdruss und ein zwar gewaltsames, aber durchaus freiwilliges Hinscheiden. Einen Reim darauf machte sich jeder, der schon mal auf St. Helena gewesen war oder davon gehört hatte.
    Nur Emmeline, die Tochter des Toten, war zuerst kaum zu beruhigen und danach nicht zu überzeugen gewesen. Hatte so lange und laut von Mord geredet, bis der Kapitän höchstpersönlich, oberste Polizeigewalt auf allen seegehenden Schiffen Ihrer Majestät Königin Viktoria, ein Machtwort gesprochen hatte. Wer von beiden recht behielt, würde Gowers auf der Reise in den südlichen Atlantik schon herausfinden.
    Vielleicht wäre seine Aufgabe aber auch schon auf den Bahamas beendet, vielleicht war es wirklich nur ein Selbstmord gewesen. Vielleicht könnte er von Nassau aus mit irgendeinem Schmuggler nach New Orleans segeln, vielleicht lebte Maggie noch, vielleicht …
    Gleichzeitig fragte er sich, wie wohl das Schiff aussehen würde. Rechnete mit einer Brigg, allenfalls einer Dreimastbark, Auswanderer- oder Paketschiff mit vielleicht zwei Decks – und stand dann mit offenem Mund, ehrfürchtig wie in einer Kirche, unter den dreißig Meter hohen Masten des uralten englischen Linienschiffes: Vierdecker, als Vollrigg getakelt, an die zweitausend Tonnen, bei Trafalgar, Navarino oder bei ähnlichen Gelegenheiten sicher nicht unter
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