Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)

Titel: Tod auf der Northumberland: Roman - Ein Fall für John Gowers (German Edition)
Autoren: Daniel Twardowski
Vom Netzwerk:
Old Benwell, zwischen Vallum Hadriani und Tyne, saß zitternd vor Ärger und Unruhe in der Sakristei seiner kleinen Kirche und erwartete den Zorn des Herrn über seinem Haupt.
    Es war Sonntag, der Tag des Herrn, und schon seit zwei Stunden war er hier, angetan mit dem schlichten schwarzen Talar eines Dieners der anglikanischen Kirche. Er hatte das Heulen und Zähneklappern zu Hause nicht mehr ertragen und war hierher geflüchtet, wo er nun selbst heulte und klapperte. Jedenfalls zitterte.
    Aber er würde sich seiner Schande stellen, jawohl, er würde diesen bitteren Kelch bis zur Neige leeren, der Herr hat’s gegeben,
der Herr hat’s genommen, gelobt sei der Name des Herrn!
    Aber warum Jenny? O Herr?
    Warum die jüngste seiner sechs Töchter, sein Augenstern, das Licht seiner Tage?
    Sie war kein sonderlich hübsches Mädchen. Er hatte viel mehr Angst gehabt um Charlotte Alexandra, seinerzeit, ihrerzeit. Die war groß, war schlank und auf eine herausfordernde Weise blond. Ihre Augen sind wie die Teiche von Heschbon am Tor Bat-Rabbim, von ihren Lippen träufelt Honigseim, ihre Brüste sind wie junge Zwillinge von Gazellen, die unter Lilien weiden. Aber unsere Schwester ist klein und hat keine Brüste … Warum Jenny?
    Sie war zu dünn, zu knochig. Allerhöchstens ihre Nase war wie der Turm auf dem Libanon, der gen Damaskus schaut . – Ein Vers, den Ehrwürden Gowers ohnehin nie ganz verstanden hatte.
    Jenny, Jane Gowers. Ihr Mund war zu schmal und ihr Haar so schwarz, dass er oft den Herrn angerufen hatte, in der Dunkelheit seiner bösen Gedanken, den Zweifeln an seinem Weib. Aber auch ein lachendes Mädchen, ein kluges Mädchen. Wahrhaftig gescheiter als all die zahllosen Diakone, die er in dreißig Jahren hatte kommen und gehen sehen. Und es war seine Schuld, seine Schuld, seine große Schuld, dass sie all das wusste und mehr wusste, als für das Seelenheil eines siebzehnjährigen Mädchens nötig war.
    Er spähte durch den Türspalt in die Kirche, wo das Gescharre vieler Füße und ein Räuspern aus vielen Kehlen ihm verkündeten, dass sich seine Herde versammelt hatte, vollständiger noch als am Osterfest, diese Heuchler, Pharisäer, diese üblen Sünder. Waren gekommen, um sich an seiner Schande zu weiden, dem Schmerz ihres Hirten!
    Ehrwürden Gowers atmete heftig aus, ehe er vor die gottesfürchtige Schar trat, und lernte dabei seine Frau immerhin etwas besser verstehen, die heute den ersten Sonntag ihres Lebens nicht in der Kirche verbrachte. Tag des Herrn, Tag des Zorns!
    Seine Predigt war sehr verwirrend für alle Beteiligten. Da war erfreulich viel von den zuchtlosen Schwestern die Rede: Juda und Israel, Jerusalem und Samaria, die die auserlesensten Söhne Babels, Assurs und Ägyptens nach ihren Brüsten greifen und ihren jungen Busen betasten ließen. Von Jeremiä Klagerufen über die Tochter Zions, die hoch gebaute Stadt, das alte Möbel: Sie ist wie eine liebliche Aue; aber es werden Hirten über sie kommen mit ihren Herden; die werden Zelte aufschlagen rings um sie her und ein jeder seinen Platz abweiden.
    Bis dahin stimmte noch alles.
    Ganz unvermittelt kam er dann aber auch auf Lots Weib, Lots Töchter und von da wieder auf die Blöße Noahs zu sprechen und dass der Herr strafet die Sündigen bis ins siebente Glied, König David könne auch ein Lied davon singen …
    Mit einem Wort: Er gab es den Sündern ganz ordentlich, wenn auch reichlich ungeordnet. Und die ganze Zeit über fischte sein Auge Gesichter aus der Menge der zahlreich erschienenen jungen Männer. Welcher, o Herr? Welcher von all diesen Söhnen Babels, Assurs, Ägyptens, Old Benwells …

17.
    Nach dem Abendmahl wusste er es.
    Zuerst dachte er, es wäre der junge Philip Greening gewesen, denn der war so breit grinsend vor ihm aufgetaucht, dass Gowers in seiner Erregung dem Jungen das Brot bis zum
Kehlkopf in den Hals geschoben hatte: Ersticken sollst du an deinem Grinsen! Nun war er klüger.
    Ein Mann war sitzen geblieben, und während der Pfarrer zum Abschluss der Messfeier nun hastig seine Litaneien herunterbetete, fixierte er nur noch diesen jungen Menschen, der blass, blass, aber herausfordernd sicher, in einer der hinteren Reihen saß. Auch die Gemeinschaft der Gläubigen hatte ihn nun bemerkt. Ältere Damen in der Farbe und Form von geschlossenen Regenschirmen tuschelten sich seinen Namen und sonstige »nähere Umstände« zu und blickten dann wieder halb mitleidig, halb neugierig auf ihren Hirten, der mit zitternden Händen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher