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Tod an der Ruhr

Tod an der Ruhr

Titel: Tod an der Ruhr
Autoren: Peter Kersken
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Gutehoffnungshütte. Das Rauchen während der Arbeit war ihnen gestattet, aber eben nur aus kurzen, mit Deckeln versehenen Pfeifen. Grottkamp wusste, dass es so in der Hüttenordnung geschrieben stand.
    Er steckte das Fundstück in eine Tasche seines Uniformrocks. »Warte noch einen Moment«, sagte er, als Theodor Verstegen gerade ein Sacktuch über den Leichnam ziehen wollte.
    Grottkamp knöpfte die triefendnasse Leinenjacke des Toten auf und schlug sie auseinander. Aus der Westentasche hing eine Uhrkette. Er zog die Uhr heraus und hielt sie an sein Ohr. »Sie geht nicht mehr«, stellte er fest. Drei Minuten vor Mitternacht war Julius Terfurths Taschenuhr stehen geblieben.
    »Zeig mal her!«, bat Möllenbeck, und Martin Grottkamp reichte ihm die Uhr.
    »Alles vom Feinsten«, sagte der Heildiener beeindruckt. Während er festzustellen versuchte, ob das Uhrgehäuse tatsächlich aus reinem Silber bestand, durchsuchte Grottkamp Terfurths Kleider.
    Aus der linken Rocktasche fischte er einen bemerkenswert prall gefüllten ledernen Geldbeutel. In der rechten fühlte er einige ineinandergefaltete, durchweichte Papiere, die er vorsichtig herauszog. Um sie nicht weiter dem Regen auszusetzen, schob er sie unter sein Cape, ohne sie sich anzusehen, und ließ sie in die Brusttasche seiner Uniform gleiten.
    Ein zerknülltes Schnupftuch war alles, was Grottkamp außerdem noch in den Kleidern des Toten fand.
    »Seltsam«, murmelte er, während er die Uhr und den Geldbeutel in seinem Uniformrock verstaute.
    Theodor Verstegen deckte den Leichnam zu. »Sag der Frau Terfurth, dass ich die Besitztümer ihres Mannes konfisziert habe«, trug Grottkamp dem Fuhrmann auf, »sonst denkt sie noch, er wäre beraubt worden.«
    Der kräftige Brabanter hatte keine Mühe, das kleine Fuhrwerk mit dem toten Julius Terfurth aus dem Schlamm zu ziehen. Von Verstegen am Zügel geführt, trottete der Kaltblüter gehorsam in Richtung Holtener Straße davon.

    »Du siehst müde aus«, stellte Grottkamp fest, als er zusammen mit seinem Freund Jacob Möllenbeck am Hagelkreuz vorbeiging.
    »Bin ich auch«, erwiderte der Heildiener. »Ich war die halbe Nacht in der Baracke.«
    »Dann kannst du heute Abend wohl nicht in die Marktschänke kommen, zum Solospiel?«
    »Doch, doch!«, entgegnete Jacob Möllenbeck bestimmt. »Das habe ich jedenfalls fest vor. Ich muss mal an was anderes denken als an diese verdammte Cholera. Ich werde jetzt noch nachsehen, wie es in der Baracke steht, und dann versuche ich erst mal, ein paar Stunden zu schlafen. Also, wenn eben möglich, werde ich heute Abend dabei sein.«
    »Wie geht es dem Gendarm Schmitting?«
    »Er lebt noch«, antwortete Möllenbeck. »Wenn er die nächste Nacht übersteht, dann hat er gute Chancen, denke ich.«
    »Wie viele Kranke hast du in der Baracke?«
    »Im Augenblick nur noch sechs. Die beiden Kinder von Schmelzer sind gestorben.«
    »Ich weiß«, sagte Martin Grottkamp leise.
    Eine Weile gingen die beiden Männer schweigend nebeneinander durch den Regen. Dann fragte Grottkamp:
    »Was glaubst du, wie lange der Terfurth schon tot war?«
    »Auf jeden Fall einige Stunden«, antwortete der Heildiener. »Natürlich muss man berücksichtigen, dass die Leiche im Wasser gelegen hat…«
    »Terfurths Taschenuhr ist kurz vor Mitternacht stehen geblieben«, unterbrach Grottkamp den Freund. »Könnte das der Zeitpunkt seines Todes gewesen sein?«
    »Die Uhr hat wahrscheinlich erst versagt, nachdem Wasser in das Gehäuse eingedrungen war«, überlegte Möllenbeck. »Also, als die Uhr stehen blieb, lag der Terfurth schon eine Weile in der Pfütze. Ich denke, etwa eine halbe Stunde.«
    Grottkamp nickte zustimmend. »Und woran ist Julius Terfurth deiner Meinung nach gestorben?«
    Jacob Möllenbeck sah ihn erstaunt an. Für ihn war der Fall klar.
    »Er ist gestolpert«, sagte er. »Mit Sicherheit hatte er sich mal wieder die Hucke voll gesoffen. In den vergangenen Monaten konnte man ihn doch beinahe jeden Abend betrunken durch Sterkrade torkeln sehen.«
    Grottkamp wischte sich den Regen aus dem Gesicht. Während seiner abendlichen Inspektionen der Wirtshäuser hatte er Terfurth häufig unter den Zechern entdeckt, und gelegentlich war ihm der schwankende Hammerschmied bei einem seiner späten Rundgänge durch das Dorf begegnet. Er hatte ihn stets ignoriert.
    So hielt er es mit all den Männern, die Abend für Abend volltrunken aus Schänken und Gasthäusern getaumelt kamen. Wenn sie ihr Leben nur mit Branntwein ertragen
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