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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus
Autoren: Petra Oelker
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Grund. Hier ist nichts zu stehlen. Und wenn ihr das Kind angefasst habt, dann gnade euch Gott …»
    «Plustere dich nicht so auf, Bauer», schrie der Dicke zurück. «Dein Grund mag hinter dem Wall anfangen, aber diese Wiese gehört allen, die auf dieser Straße reisen …»
    «Still, Titus», Helena zog den wütenden Komödianten heftig am Ärmel, «es hat doch keinen Zweck. Komm!»
    Die Pferde zogen an und die hoch bepackten Wagen rollten von der Wiese auf die Straße. Niemand sah zurück, nur Titus brüllte so laut, dass der Vater des Mädchens ihn deutlich hören konnte.
    «So ein Hungerleider von Bauerntölpel! Betrügt bei jedem Scheffel Buchweizen, den er auf den Markt schleppt, lebt mit seinen Schweinen in einem Koben und will uns zeigen, was Verachtung ist …»
    Das Mädchen hätte den Wagen gerne noch eine Weile hinterhergesehen. Aber der Vater zog es unerbittlich mit sich durch die Hecke, den Wall hinunter über den Acker und über den Hof bis vor das Feuer in der Diele des Gehöfts. Dort schlug er es voller Zorn zweimal heftig ins Gesicht. Das Kind wusste nicht, dass er das aus Angst tat, weil er gefürchtet hatte, die Fahrenden wollten ihm sein Kind stehlen.
    Das Mädchen hatte nun Gesindel kennengelernt, und von diesem Tag an glaubte es nicht mehr alles, was seine Eltern erzählten.
     
    Die Komödiantengesellschaft, die sich nach ihrem Prinzipal Jean Becker die Becker’sche nannte, beeilte sich. Noch zwei Stunden bis Hamburg, und die dunklen Wolken, die jetzt von Süden heraufzogen, drohten mit Regen. Jean reiste diesmal nicht mit auf den vollbepackten Wagen. Er war schon in der vergangenen Woche mit der Kutsche von Lübeck aus vorausgefahren, um ihre Ankunft vorzubereiten. Die Spielgenehmigung des Rats musste eingeholt, das Quartier bei der Krögerin in der Fuhlentwiete vorbereitet werden. Und die Komödienbude, die die Hamburger reisenden Komödiantengesellschaften zur Verfügung stellten, war nach dem langen, besonders regenreichen Winter sicher voller Löcher. Da musste rechtzeitig bei den Handwerkern geschmeichelt und mit einem Goldstück geklimpert werden, damit der Meister sie nicht zu lange warten ließ.
    Rosina und Helena saßen auf dem Bock des ersten Wagens. Titus, noch immer Wutfalten auf der Stirn, lenkte den zweiten. Der Platz neben ihm war leer. Die alte Lies hatte sich hinter seinem schützenden Rücken zwischen zwei Weidenkörben einen Sitz gebaut, der für ihre steifen Knochen bequem genug war. Sie sorgte sich um ihre Kräuter. Als die hoch aufgetürmten Kisten und Körbe zu rutschen begannen und schließlich vom Wagen fielen, hatte sich der Kräuterkorb geöffnet und seinen Inhalt auf die nasse Straße gespuckt. Es waren nur wenige Säckchen und Bündel gewesen, denn jetzt im Frühling war der Vorrat an heilenden Kräutern und Wurzeln fast erschöpft, aber gerade deshalb waren sie umso wertvoller. Am Abend, in der warmen Stube der Krögerin, konnte sie ihre Schätze trocknen. Nur der Salbei war wohl nicht mehr zu retten.
    Am dritten Wagen führte Rudolf die Zügel. Obwohl er müde war, ging er neben den Pferden. Wenn er sich zu Gesine auf den Kutschbock setzte, würde sie nur weiter mit ihm streiten. Wie alle Komödiantenkinder waren auch Fritz und Manon, gerade zehn und elf Jahre alt, schon tüchtige Artisten. Sie spielten kleine Rollen und waren zarte Elfe und pausbäckiger Cupido im Ballett. Beide konnten lesen, schreiben, rechnen und auch schon ein wenig Französisch. Die Sprache Molières war ihrer Mutter besonders wichtig. Als sich Sebastian der Gesellschaft anschloss, hatte Rudolf den Studenten gebeten, Fritz in Philosophie und Latein zu unterrichten. Sein Sohn sollte eines Tages entscheiden können, ob er Komödiant bleiben wollte. Aber wann gelang es einem Komödiantenkind einmal, in der Bürgerwelt Fuß zu fassen? Das schafften nur solche, die von den Universitäten zu den Komödianten gelaufen waren, Bürgerkinder auf der Suche nach dem Abenteuer. Manche kehrten nach einigen Jahren zurück. Aber wahrscheinlich hatte Gesine recht: Einer wie Fritz, dessen Urgroßeltern schon auf dem Karren gefahren waren, hatte keine Chance.
    Rudolf lebte sein Komödiantenleben mit der Ergebenheit eines Hiob. Er war kein guter Schauspieler. Aber er hatte ein anderes Talent, das ihn manchmal sogar glücklich machte: Er malte die schönsten Kulissen und zauberte die phantastischsten Illuminationen und Flugwerke, die auf einer kleinen Wanderbühne möglich waren.
    Es war kein schlechtes
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