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Tod am Zollhaus

Tod am Zollhaus

Titel: Tod am Zollhaus
Autoren: Petra Oelker
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Leben. Andere hungerten mehr und öfter, und wenn er die Knechte und Mägde auf den Feldern mit krummen Rücken schuften sah, konnte es geschehen, dass er sich frei und stolz fühlte.
    Dennoch träumte er für seine Kinder von einem ruhigeren Leben in bürgerlicher Sicherheit.
    «Verzeih mir, Rudolf.» Leise drang Gesines Stimme in seine Gedanken. «Ich weiß, du meinst es gut, aber es macht mir Angst. Fritz ist ein Komödiantenkind, und so eines findet keine Tür zur anderen Seite der Bühne. Selbst die Bauern verjagen uns wie Diebe.»
    Sie schwieg eine Weile. «Unser Leben ist nicht leicht», fuhr sie schließlich fort, «aber es ist auch nicht schlecht. Schlecht wird es nur für einen, der seinen Platz nicht kennt. Setz dem Jungen keine Träume ins Herz, die sein Leben schlecht erscheinen lassen. Er wird kein anderes finden. Verwische seine Grenzen nicht.»
    «Grenzen ändern sich, Gesine. Als wir geheiratet haben, waren wir noch das dumme Gesindel für die groben Späße. Die Bürger verachteten uns, die Fürsten liebten nur die italienische Oper …»
    «Das tun sie immer noch, die Bürger wie die Fürsten.»
    «Aber nicht mehr so sehr.»
    Gesine antwortete nicht. Sie sah seine schmalen Schultern, das dünner werdende Haar. Ein unauffälliger Mann. Er hatte sie stets mit Respekt behandelt, aber er war ein wenig versponnen, ein Künstler und Tüftler, nicht immer leicht zu verstehen. Doch sie liebte ihn, und das würde immer so bleiben. Ohne ihre Entschlossenheit und Stärke wäre er in dieser rauen Welt vielleicht untergegangen. Mit ihr war er stark. Aber so, dachte sie, soll es ja auch sein. Zusammen stark sein war genug.
    Fritz und Manon rannten mit Muto um die Wette dem kleinen Wagenzug voraus. Manon hatte die Röcke hochgebunden, und ihre Sprünge waren genauso wild wie die der Jungen. Gesine lächelte. Auch ihre Kinder waren stark. Sie würden ihren Weg finden.
    So wie Rosina, die aufrecht neben Helena auf dem ersten Wagen saß. Gesine war nicht begeistert gewesen, als Rosina an einem kalten Regenabend vor fünf Jahren in ihrem Quartier auftauchte. Sie war nass und schmutzig, aber Gesine hatte auf den ersten Blick gesehen, dass sie log, als sie behauptete, eine entlaufene Magd zu sein. Die zarte Haut, die feine Sprache und der zierliche Gang verrieten, dass sie nicht an schwere Arbeit im Stall oder in der Küche gewöhnt war. Inzwischen war aus dem zarten Mädchen eine kräftige junge Frau geworden. Ihren Händen war anzusehen, dass sie oft die Zügel führte.
    «Vergiss es einfach, Rosina. Der Mann war nur ein dummer Bauer.» Helena legte freundlich die Hand auf den Arm der Jüngeren.
    «Ja», Rosina nickte, «ein dummer Bauer, ein dummer Bürger, ein dummer Förster, ein dummer Pfarrer – ich sollte mich daran gewöhnt haben. Aber ich kann es nicht. Es macht mich immer wieder maßlos wütend …»
    «Bald sind wir in Hamburg. Da lassen sie uns in Ruhe. Und wenn wir hübsch spielen und singen, klatschen sie sogar.» Helena lachte. «Und erinnere dich an das letzte Mal. Da wollte dich sogar einer heiraten.»
    «Du meinst den verrückten alten Gotländer-Wirt?»
    «Den verrückten, reichen alten Gotländer-Wirt.»
    «Der wollte nicht mich, sondern ein Aushängeschild für sein Wirtshaus, eine Schankmamsell, die die Männer anzieht und ihnen mit Gesang und großem Dekolleté das Geld aus der Tasche lockt.»
    «Bürger und Fürsten verhökern ihre Töchter auch. Das ist überall so.»
    Rosina nickte. «Ich weiß.»
    Dann ließ sie die Zügel fröhlich auf die breiten Hinterbacken der Pferde klatschen. «Aber mich verhökert niemand!», rief sie und begann laut zu singen.

[zur Inhaltsübersicht]
    3. Kapitel
    Dienstagnachmittag
    Der Frühling hatte sich in diesem Jahr beeilt. Schon in den letzten Februartagen blühten die ersten Primeln auf den Alsterwiesen. Ende März zeigten die Büsche zartes Grün, und alle glaubten, dass die prallen Knospen an den Kirschbäumen bald aufplatzen würden. Aber Petrus war unberechenbar. Er griff noch einmal in die Winterkiste und schickte mit dem April wahre Sturzbäche von kaltem Regen auf die Erde. In der letzten Woche hatte es nachts sogar gefroren, und ob es in diesem Jahr genug Kirschen geben würde, war nun ungewiss.
    Am Nachmittag erreichten die Wagen die Vorstadt St. Georg. Die Komödianten der Beckerschen Gesellschaft hatten den Lüb’schen Baum und die äußere Festungsmauer der alten Hansestadt Hamburg passiert, nun rollten sie durch die lange Ulmenallee auf
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