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Titan 01

Titan 01

Titel: Titan 01
Autoren: Frederik Pohl , Wolfgang Jeschke
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unter seinen Lidern stahlen sich Tränen hervor und rannen ihm das schmutzige, bärtige Gesicht hinunter. Eines Tages endete diese Phase ohne bestimmten Grund, und er nahm seine Wanderungen wieder auf, nun zu Fuß. Nach Norden im Sommer, nach Süden im Winter, auf der unkrautüberwachsenen U. S. 1, Schweinefleisch und Bohnen in einem umgehängten Beutel, meist vor sich hinschwatzend, manchmal singend.
    Es ist nicht wichtig, wann es geschah. Deshalb nicht, weil die Besucher Ewige waren; endlos dehnte sich die Zeit vor ihnen wie hinter ihnen, und damit sind nur zwei der unendlichen Unendlichkeiten erwähnt, die ihr ›Leben‹ umfaßte.
    Wann genau sie ein bestimmtes Planetensystem erreichten, war für sie die trivialste aller Nebensächlichkeiten. Sie nannten die Ewigkeit ihr eigen: Irgendwann würden sie alle Planetensysteme erreichen.
    Sie hatten sich die Ewigkeit auf die einzige praktische Art und Weise erobert: indem sie sie an Zahl übertrafen. Jeder der Besucher bestand aus einer Milliarde Leben, so wie du aus einer Milliarde Leben bestehst – der Milliarde Leben deiner Zellen nämlich. Nur haben deine Zellen den Fehler gemacht, sich zu spezialisieren. Manche können sich nur zusammenziehen und wieder entspannen. Manche können Harnsäure aus deinem Blut filtern. Manche können nur Sauerstoff transportieren und wieder abgeben. Manche können nur bestimmte Chemikalien produzieren, um den unglaublich komplizierten, biochemischen Mechanismus, der dein Körper ist, vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Es ist eine letztlich zum Scheitern verurteilte Aufgabe, denn irgendwann gehst du drauf. Vielleicht vereinigen sich, bevor das passiert, einige deiner spezialisierten Zellen mit den spezialisierten Zellen von jemand anderem und wachsen zu einem neuen, unglaublich komplizierten Mechanismus heran, der eines Tages ebenfalls zusammenbrechen muß.
    Die Besucher waren vernünftiger gebaut. Ihre Milliarde Leben gehörten nicht Zellen, sondern kleinen, unspezialisierten, insektenähnlichen Wesen, deren Zusammenhalt durch ein elektromagnetisches Feld gewahrt wurde, das ungleich viel praktischer war als die groben Molekularbindungen, die dich zusammenhalten. Jedes einzelne der Milliarde Wesen, aus denen ein Besucher bestand, war für sich lebensfähig, konnte ein entsprechend winziges Gewicht tragen, konnte winzige Maschinenwerkzeuge bedienen und hatte in seinem winzigen, runden schwarzen Kopf genügend Gehirnzellen, die es befähigten, zu fressen, sich zu paaren und zu vermehren und zu arbeiten – plus noch ein paar Millionen Gehirnzellen, die jedoch an das Feld angeschlossen waren und das Bewußtsein eines Besuchers bildeten.
    Wenn eins der Insekten starb, gab es keine Riten; es wurde ziemlich unbeteiligt von seinen Nachbarinsekten aufgefressen, solange es noch frisch war. Das bedeutete dem Besucher nicht mehr, als dir vielleicht das Wachsen deines Haars, und das Wachsen von Haaren bedingt den Tod von unzähligen Zellen.
    »Vielleicht auf dem Mars!« brüllte er, als er sich weiterschleppte. Sein Beutel schlug ihm gegen die Schulter, und er richtete den Riemen, ohne daß sein Schritt stockte. In den dunklen Fichtenwäldern flogen die Vögel kreischend auf, wenn er ihnen zuschrie: »Ja, warum nicht? Es müssen gut zehntausend oben gewesen sein. Fortschritt, Gott verdamm ihn! Hier hab’ ich den Fortschritt, Mann! Hätte nie gedacht, daß es in meiner Lebenszeit passiert. Aber man sollte eigentlich annehmen, daß sie mittlerweile ein Schiff hätten herunterschicken können, damit man hier nicht so verdammt einsam ist. Verflucht, du weißt sehr gut, Mann, daß daraus nichts wird. Weil es dort oben auch passiert ist. Wir hatten Nordsemisphäre, die hatten Südsemisphäre, also weißt du gottverdammt sehr gut, was dort oben passierte. Semisphäre? Hemisphäre. Hemi‐Semi‐Demisphäre.«
    Das war gut, besser als alles, was er sich seit Jahren ausgedacht hatte. Er brüllte es im Takt, während er weitermarschierte.
    Als er es satt wurde, brüllte er stattdessen: »Hättest in der alten, alten Army sein sollen, Mann. Wir hielten nichts von Käse und der Uneingeschränkten Freiheit in der alten, alten Army. Wenn man im Gleichschritt mit jemand marschieren wollte, dann marschierte man im Gleichschritt, Mann. Nichts von diesem Käse, daß du ohne Gleichschritt marschierst oder zwanzig Hiebe vom Sergeanten einstecken darfst, weil du deine Freiheit eingeschränkt hast.«
    Auch das war gut, aber es beunruhigte ihn irgendwie. Er wurde sich
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