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Tintorettos Engel

Titel: Tintorettos Engel
Autoren: Melania G. Mazzucco
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- ich musste zugeben, nicht ganz zu Unrecht -, dass ich den Bildern, die ich für ihn gemalt hätte, keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet hätte. Meine Nachlässigkeit könne ich lediglich dadurch wiedergutmachen, indem ich für seinen Palast in Mantua etwas Unvergessliches erschaffen würde.«Ich werde es tun», beteuerte ich ihm jahrelang. Herzog Wilhelm aber starb, ehe ich mein Versprechen einlösen konnte. Nun ging ich mit Marietta nach Mantua, wo ich eigentlich mit Faustina hätte hinfahren müssen.
    Der neue Herzog von Mantua brachte uns im alten Schlossflügel unter. Obwohl der jahrhundertealte gotische Bau nicht die
Bequemlichkeit der neuen Paläste bot, waren unsere Gemächer großzügig und sonnendurchflutet, und die Fenster gingen zum See hinaus.«Ich dachte mir, Maestro Tintoretto», sagte der junge Herzog äußerst feinfühlig,«der Blick auf den See lasse keine Sehnsucht nach der Lagune aufkommen, auf dass Ihr ein wenig länger bleibt.»Als Willkommensgruß schenkte er Marietta ein prachtvolles Cembalo mit Schnitzereien, einem mit Pflanzen und Flüssen bemalten Gehäuse und einer Zierleiste aus glänzendem Elfenbein.«So könnt Ihr musizieren, wann immer es Euch beliebt, Signora», sagte er zu ihr.«Lasst Euch nicht der Wonnen der Musik berauben, ist sie doch in der Lage, alles Leid zu lindern und uns in eine bessere Welt zu entführen.»Wie sein Vater war der Herzog ein leidenschaftlicher Musiker, der sich mit Noten umgab wie andere Herrscher mit Pferden oder Hunden. Dutzende Komponisten, Musiker und Sänger waren in seinen Diensten. Verlegen zierte sich Marietta, das Geschenk anzunehmen. Als aber ihre Finger über die Tasten glitten und die Plektren die Saiten anzupften, ertönten beide Stimmen sofort im Einklang - harmonisch und zart.
    Siehst du, Herr, am Ende habe ich sie doch aus Venedig herausgebracht, und zwar an einen Hof. Das hätte ich schon Jahre zuvor tun sollen. Ihr hätte dieses Leben möglicherweise gefallen. Meine Tochter schien wie gemacht dafür, durch endlos lange Flure zu flanieren und mit anderen hochrangigen Personen Konversation zu betreiben - Personen, die kein Bewusstsein für ihre Privilegien hatten, gegen ihre Langeweile ankämpften und denen es nach Zerstreuung, Schönheit und Geist verlangte. Sie schien wie gemacht dafür, sie zu unterhalten, ohne sich selbst preiszugeben. Ob Marietta ein solches Leben je gewollt hätte, werde ich nicht mehr erfahren. Dass wir es nicht hätten teilen können, war Grund genug, es uns zu versagen. In jenem Jahr in Mantua waren wir Gäste. Mir ist unklar, ob ich so viel Anerkennung verdient habe. Dennoch ist mir der, dessen Wünschen ich nicht nachgekommen bin, ein Freund gewesen - der letzte.

    Der Herzog zahlte mir ein Salär aus, das dem einer Rente für mein Dasein im Alter gleichkam. Selbstverständlich erwartete er dafür eine Gegenleistung, doch immerhin hetzte er mir - im Gegensatz zu seinem Vater - keinen Spürhund hinterher, der ständig Fragen stellte, und bevormundete mich weder mit einem bis ins kleinste Detail vorgefertigten Entwurf noch mit einem Thema.«Meine Familie schätzt Euch schon seit langer Zeit, Maestro», sagte er,«unsere Langmut verdient eine Belohnung durch Eure Genialität.»Er erhielt nichts von mir. Wenn ich anschließend noch etwas zu malen vermochte, dann galt es ihnen - und ihr. Ich rief die Geister um das Feuer meines Letzten Abendmahls in der Kirche von San Giorgio Maggiore und legte den Leichnam des Gottessohns in die Gruft der Totenkapelle. Etwas anderes hätte dort wahrhaftig nicht hingepasst.
    Elf Monate blieb ich in Mantua. Die Zeit, die für Jacomettos Durchreise auf der Erde so kurz war, erschien uns wie eine Ewigkeit. Über siebzig Jahre meines Lebens habe ich ununterbrochen gemalt. Jeden einzelnen Tag widmete ich der Malerei. Ich malte an meinem Hochzeitstag, am Tag, als Venedigs Galeeren in Lepanto die Türken besiegten, als der Dogenpalast brannte und als mein Vater und mein Sohn Ottavio starben. Die elf Monate in Mantua widmete ich ausschließlich ihr.
    Wir standen meist spät auf. Unser Frühstück nahmen wir in dem lichtdurchfluteten Zimmer ein, wo uns die maurischen Pagen des Herzogs auf leisen Sohlen bedienten. Sie sog den Essensgeruch in sich auf und rührte, da sie den Appetit verloren hatte, fast nichts an.«Ich kann nichts bei mir behalten», flüsterte sie mir zu, was ich erst heute richtig verstehe. Wenn das Wetter es zuließ, fuhren wir mit dem Boot auf den See hinaus. Anfangs
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