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Timm Thalers Puppen

Timm Thalers Puppen

Titel: Timm Thalers Puppen
Autoren: James Krüss
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und
    Beinen das Marschieren imitierend.
    Antonia zögerte mit einer Antwort, wohl weil sie nicht verstand, was ihre Freundin bei den beiden Burschen wollte, sagte dann aber doch: »Andiamo. Gehen wir.«
    So gingen die zwei Mädchen, die sich an den Händen
    hielten, zu einer Häusergruppe außerhalb des Städtchens.
    Zur gleichen Zeit malte Elfriedes Mutter in Venedig ihren Namen in Großbuchstaben auf ein Blatt Papier: MARGARET
    BAUER. Es war in einem Amtszimmer der Fremdenpolizei, wo man sehr höflich war, sich aber gegenseitig sehr schlecht verstand; denn auch Elfriedes Eltern sprachen kein Italienisch, und bei der Fremdenpolizei sprach niemand Deutsch. Zum Schluß riet man dem Ehepaar in Gesten, die verständlich waren, es doch sechs Brücken weiter zu versuchen. Dort spräche man vielleicht Englisch oder auch Deutsch.
    Jedoch die Polizei sechs Brücken weiter war ein
    gewöhnliches Polizeirevier, in dem man hauptsächlich den venezianischen Dialekt sprach und für Chioggia überhaupt nicht zuständig war. Nochmals fünf Brücken weiter aber, so erfuhr das Ehepaar, wäre ein junger Mann im Dienst, der Englisch sprechen könnte, in einer Nebendienststelle der Fremdenpolizei.
    So wanderte das Ehepaar seufzend nochmals fünf Brücken weiter.
    Ihre Tochter Elfriede aber betrat zur gleichen Zeit, zusammen mit Antonia, ein flüchtig weißgekalktes altes Haus aus Stein, in dem man durch die Haustür gleich in ein Zimmer eintrat.
    In diesem Zimmer, das, so wie die Außenwände, weiß
    gekalkt war, saß eine dicke Frau an einem Tisch und weinte.
    Hinter ihr lief mit lautem Ton ein Fernsehapparat.
    Beim Eintritt der beiden Mädchen weinte die Frau weiter, und Elfriede, die schüchtern und erschrocken stehengeblieben war, fragte Antonia: »Was hat sie denn? Ist das die Mutter von den beiden Mopedfahrern?«
    Antonia konnte keine Antwort geben; denn die Frau redete, laut weiterweinend, auf sie ein. Sie zeigte dabei mit ein wenig kurz geratenen Fingern auf den Fernsehapparat, danach in alle Himmelsrichtungen, schließlich auf sich und ganz am Ende auf ein kleines, vielleicht zweijähriges Mädchen, das mit einem Plastikbären ruhig am Boden spielte.
    Als die Frau nach ihrer langen aufgeregten Rede Atem holte, fragte Elfriede ein zweites Mal leise, was sie denn habe, aber auch diesmal bekam sie keine Antwort.
    Die Haustür nämlich wurde aufgerissen, und zwei junge Burschen in Lederjacken kamen herein. Der eine trug ein großes längliches Paket, das eingewickelt war in glänzendes Papier und schön verschnürt mit einem rosa Band mit
    Schleife. Das warf er barsch und mürrisch auf den Tisch. Der andere ging in ein anderes Zimmer mit Papieren in der Hand.
    Elfriede wußte nicht, ob das die beiden Mopedfahrer waren; denn als sie am Kanal an ihr vorbeigeknattert waren, hatte sie just den Kahn auf dem Kanal beguckt. Es blieb ihr auch kaum Zeit, die beiden länger zu betrachten, da sie das Haus sehr rasch wieder verließen – ohne ein Wort mit der dicken Frau gewechselt zu haben. Sie küßten nur flüchtig das Kind am Boden, ehe sie wieder verschwanden, und Motorengeknatter verriet, daß sie mit einem Moped fortfuhren.
    Die Frau am Tisch, die nicht mehr weinte, seit die Jungen ins Haus gekommen waren, riß nun das glänzende Paketpapier in Fetzen, zerriß einen Kartondeckel, weil der mit
    Klebestreifen am Karton befestigt war, zauste aus dem Karton laut knisterndes Papier mit blauen Punkten heraus und hielt schließlich mit beiden Händen triumphierend eine Puppe in die Höhe, die blond gelockt und nach der neuesten Mode angezogen war.
    Elfriede kannte diese Puppe. Im Werbefernsehen, das sie sich im Hotel zuweilen angesehen hatte, trat diese Puppe mehrere Male täglich auf. Sie trug den Namen Sindy.
    »Die teuerste Puppe, die es gibt«, sagten Elfriede und Antonia fast gleichzeitig, die eine deutsch, die andere italienisch, und ein bißchen Neid klang aus beiden Stimmen heraus.
    Elfriedes Eltern standen um diese Zeit schon in der dritten Polizeidienststelle, um die zwei Burschen mit dem Moped endlich anzuzeigen. Und diesmal nahm ein junger Polizist, der etwas englisch sprechen konnte, die Anzeige auch auf – zuerst den Namen von Elfriedes Mutter, dann Ort und Zeit der Tat, danach den Hergang. Am Ende wurde eine Liste mit dem Tascheninhalt aufgestellt. Fehlte dabei ein Wort, mußten die Hände wieder Hilfestellung leisten. So zog Elfriedes Mutter Lippen und Brauen mit dem Finger nach, um den Verlust ihres Kosmetiktäschchens
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