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Timm Thalers Puppen

Timm Thalers Puppen

Titel: Timm Thalers Puppen
Autoren: James Krüss
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war. Die Besichtigung dauerte denn auch nur kurze Zeit.
    Danach rief der Baron zu uns herüber: »Kommen Sie mit. Wir sind zum Mittagessen eingeladen. In der Barkasse ist für alle Platz.«
    Daß Platz in der Barkasse war, fand ich, als ich an Bord war, etwas übertrieben, da wir uns eng zusammendrängen mußten. Doch dauerte die Fahrt in ihr nur kurze Zeit.
    Wir fuhren nicht, wie ich erwartet hatte, zur Stadt Rovinj, in der die alten Häuser so verwinkelt zu dem Turm hochklettern, sondern zu einer winzigen Insel, auf der ein Leuchtturm steht.
    Man nannte sie noch so, wie sie in italienischer Zeit geheißen hatte: San Giovanni in Pelago, Sankt Johannes im Meer.
    Über ein paar rohe Stufen im Stein stiegen wir hier hinauf auf den Felsen, auf dem der Leuchtturm und drei Häuser stehen, alle in hellgrauem Naturstein aufgesetzt. Ein kniehohes Mäuerchen aus dem gleichen Stein umläuft den Rand der Insel. Im Norden hinter dem Leuchtturm liegt, ganz ausgedörrt und ungekämmt, ein Gärtchen. Alles auf diesem Inselchen ist von der Sonne ausgedörrt und bleich. Hier wächst auch kein Baum.
    Auf einer überdachten Terrasse vor den Häusern aber – sie war an jenem Tag mit trockenen Weidenwedeln überdacht, die man am Strande einer Nachbarinsel findet – auf der Terrasse vor den Häusern sah es festlich aus. Sämtliche Tische der drei Häuser hatte man, erfuhr ich, zu dieser langen Tafel zusammengestellt, die mit weißen Tischtüchern überdeckt war. Teller, Gläser und Flaschen standen auf der Tafel, Brot lag bereit, Salat stand auf dem Tisch, und auch Bestecke waren hübsch verteilt. Zangen und feine Gabeln mit zwei Spitzen ließen mich vermuten, daß es an diesem Tage
    Meeresschalentiere geben würde.
    Ein dicker Ingenieur, der Ivan Potirtsch hieß, hatte das alles vorbereitet. Er wies uns auch bei Tisch die Plätze an. Ich kam, schräg gegenüber dem Baron, zwischen Timm und einem
    Ingenieur zu sitzen und mußte hier als Übersetzer dienen, da ich die Sprache Jugoslawiens, das Serbokroatische, leidlich beherrsche. Und schon bevor das Essen aufgetragen war, mußte ich übersetzen. Denn als wir zur Begrüßung
    Pflaumenschnaps tranken, erhob sich der Baron und sagte:
    »Ein Prosit auf die schnellen Schiffe und Motoren! Mögen sie uns, so schnell es geht, in eine bessere Zukunft fahren!«
    Man stieß, als ich das Prosit übersetzt hatte, mit den Gläsern an und trank. Aber Herr Potirtsch, der des Deutschen mächtig war und neben dem Baron saß, sagte hinterher: »Warum, Baron, die Zukunft übereilen? Dann leidet ja die schöne Gegenwart.«
    »Und diese schöne Gegenwart«, sagte mit einer
    merkwürdig entzückten Stimme Timm an meiner Seite, »dort kommt sie schon, Herr Potirtsch, schauen Sie: Man bringt sie rot und lecker auf den Tisch.«
    Ein mächtiger Mann, viel größer und dicker als Potirtsch, kam hinter dem Leuchtturm jetzt zum Vorschein. Er brachte auf einem langen Holzbrett rotgekochte Hummer, die neben-, über- und durcheinander lagen, mit Panzern, Beinen, Fühlern, Schwänzen und Scheren, als ob jemand die Rüstungskammer des Meeres ausgeplündert habe.
    »Und das sollen wir essen?« fragte entsetzt der Ingenieur, der neben mir saß. Er kam, so hatte ich erfahren, aus Bosniens schweren Wäldern, vom Flusse Drina, und war zum erstenmal am Meer.
    Als Enkel eines Hummerfischers, der die
    Meeresschalentiere kannte, beruhigte ich ihn. »Bricht man die Schalen sachgemäß und sorgsam auseinander«, sagte ich,
    »kommt zartes, leicht rot überhauchtes Fleisch zum Vorschein, das Allerfeinste, was das große Meer dem menschlichen Gaumen zu bieten hat.«
    Und Boschko – denn so hieß der Ingenieur, wie ich erfuhr –
    aß, als ich einen halben Hummer sachgerecht für ihn zerlegt hatte, mit vielen »ah« und »oh« und »hmmm« und »joj« das zarte Fleisch und sagte hinterher, so fein habe er wirklich noch nie gegessen.
    Bei diesem Hummeressen auf der Leuchtturminsel, bei dem ich über eine bewaldete Landzunge hinweg die heilige Euphemia auf dem Turmdach sah, wurden sehr viele
    Tischreden gehalten. Sie galten der Zusammenarbeit zwischen diesem Lande und Venedig, wobei niemand von dem Baron erfuhr, mit welchem Anteil er daran beteiligt war. Er schnitt im übrigen gar nicht gut ab bei diesen Reden. Denn wenn er Handel und Geschäfte loben wollte, kam er, wie Krescho später sagte, »nie zu Pott«. Als er, sein Glas erhebend, sagte, ein jeder auf der Welt habe ein Recht auf klingenden Gewinn, sagte mein Nachbar Boschko (was
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