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Timm Thalers Puppen

Timm Thalers Puppen

Titel: Timm Thalers Puppen
Autoren: James Krüss
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Chioggia in Ruhe trinken könnten, und diese Hoffnung wurde
    wenigstens erfüllt; denn als wir von der Yacht in das verschlafene Städtchen gingen, das ganz im Süden der venezianischen Lagune liegt, gab der Baron sich wieder gutgelaunt.
    Er scherzte, als wir unter schattigen Arkaden gingen und uns, dem Uhrturm gegenüber, niederließen am Tisch eines Straßencafes. Er machte sogar Witzchen und fragte, ob Timm hier nicht wieder eine Geschichte einfalle.
    Timm antwortete, nachdem wir Männer Capuccino bestellt hatten und Krescho wieder sein geliebtes Eis: »Ich hörte in Deutschland, Baron, von einem jungen Mädchen eine
    Geschichte, die ausgerechnet hier passiert ist, in Chioggia.«
    »Dann lassen Sie uns die Geschichte hören«, sagte der Baron; und als wir ihn etwas befremdet ansahen, weil Timms Geschichten ihn ja nicht erfreuten, sagte er, er werde später gern erklären, warum er die Geschichte hören möchte. Dann sagte er: »Erzählen Sie, Herr Thaler.«
    Da erzählte Timm, als wir vor Eis und Capuccino saßen, halb auf der Straße, unter schattigen Arkaden, der Turmuhr mit dem Vierundzwanzig-Stunden-Zifferblatt gegenüber, die Geschichte:
    Handtaschendiebe

oder
    Zu arm, um ohne Wunsch zu sein

    In den Tagen des Wohlstands ging am Ufer des Kanals der kleinen Stadt Chioggia, unweit Venedigs, ein deutsches Ehepaar, in ein Gespräch vertieft, langsam zu seinem Auto.
    Die Tochter, die Elfriede hieß, ging hinterher.
    Doch hielt die Tochter plötzlich ihren Schritt an, weil ihre Mutter stehengeblieben war. Ein Moped mit zwei jungen Burschen knatterte gerade an ihr vorüber – zwischen dem Bürgersteig und einem am Ufer parkenden Auto.
    »Was ist, Mama?« fragte Elfriede, die gerade einem Kahn zusah, der trag auf dem Kanal vorüberfuhr.
    Als ihre Mutter keine Antwort gab, drehte das Mädchen sich ihr zu und sah, ein bißchen überrascht, daß sie sehr blaß war. Aus ihrem sonst meist rötlichen Gesicht war alle Farbe gewichen.
    »Was ist denn los, Mama?« fragte Elfriede noch einmal, und auch ihr Vater fragte: »Was ist los?«
    Erst jetzt gab die plötzlich so blaß gewordene Mutter Antwort. Sie sprach stockend, und ein trockenes Schluchzen kam dabei aus ihrer Kehle. »Die Handtasche«, sagte sie,
    »meine Handtasche ist weg. Die beiden Jungen da…«, sie zeigte in die Richtung, in die das Moped fortgeknattert war,
    »… die beiden Jungen haben sie mir aus der Hand gerissen.
    Mein Führerschein ist drin und siebenhundert Mark.«
    Als Vater und Tochter, halb ungläubig und halb
    erschrocken über den von ihnen nicht bemerkten flinken Raub, die Köpfe wandten, war von den beiden Burschen nichts mehr zu sehen. Straßen und Bürgersteig waren jetzt menschenleer.
    Nun reagierten alle drei, aber auf unterschiedliche Weise: Der Vater überflog mit einem Blick die Häuserzeilen, um ein Polizeirevier zu suchen; Elfriede rannte in die Richtung, in die das Moped fortgeknattert war; die Mutter aber starrte ihre Hand an, die kurz zuvor noch am zusammengelegten Riemen ihre Handtasche gehalten hatte, eine rotbraune
    Schlenkertasche mit dem berühmten goldenen V der Firma Viles.
    Ein Stündchen später standen alle drei, noch immer
    aufgeregt und mit geröteten Gesichtern, im Polizeirevier Chioggias, in einem zugigen Flur mit Steinfußboden, und versuchten, zwei jungen Polizisten klarzumachen, was geschehen war.
    Die beiden Polizisten blieben ruhig; nur einer fragte (was die drei verstanden), ob dieser Diebstahl am Kanal geschehen sei.
    Die Eltern und die Tochter sagten »ja«, worauf der Polizist beinah zufrieden nickte (weil er das wohl erwartet hatte), ihnen dann aber erklärte (was sie wieder verstanden), daß nur die Polizei Venedigs ihnen helfen könne, die polizia per forestieri, die Fremdenpolizei.
    So fuhren denn die Eltern mit dem Auto nach Venedig, während Elf riede in Chioggia blieb und zu Antonia ging, einem gleichaltrigen Mädchen, mit dem sie sich angefreundet hatte. Zwar konnten sich die zwei allein durch Zeichen, nicht aber mit dem Mund verständigen (Elfriede nämlich sprach kein Italienisch, Antonia kein Deutsch); trotzdem war die Verständigung zwischen den beiden gar nicht schlecht.
    Auch als Elf riede ihre Freundin nach den Burschen mit dem Moped fragte, mit »knatter, knatter« und zwei erhobenen Fingern, verstand Antonia sie und gab ihr zu verstehen, daß sie die beiden wohl gesehen habe und daß sie beide sogar kenne.
    Es seien nette Burschen.
    »Gehen wir zu ihnen?« fragte Elfriede mit Armen
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