Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Timm Thalers Puppen

Timm Thalers Puppen

Titel: Timm Thalers Puppen
Autoren: James Krüss
Vom Netzwerk:
ein schnellerer Zug.
    In das gedämpfte Brausen dieses Zugs hinein sagte der Herr mir gegenüber, diesmal etwas lauter: »Du solltest dich im Tennisspielen üben, Junge. Ich mach aus dir den größten Champion der Welt. Gib mir dafür…« Das Pfeifen eines Dampfventils übertönte den Rest seines Satzes. Da machte ich, ein bißchen angestrengt, die Augen auf, um den Jungen zu sehen, mit dem der Herr jetzt redete.
    Doch gab es gar keinen Jungen im Abteil. Statt dessen sah ich, als ich meinen Kopf zur Seite drehte, im anderen Zuge einen Jungen sitzen. Er saß wie ich in Fahrtrichtung am Fenster. Ein Herr mit Sonnenbrille, der ihm gegenüber saß, redete auf ihn ein.
    Da nun der Nebenzug uns überholte, schob der Waggon, in dem der Junge saß, sich langsam vor. Der Junge am Fenster entglitt meinem halbwachen Blick.
    Doch plötzlich riß ich weit die Augen auf: Ich sah nun, daß der Junge am Fenster allein im Abteil war. Der Herr, der auf ihn eingeredet hatte, der saß in Wirklichkeit mir gegenüber. Er hatte sich im Fenster des anderen Zuges nur gespiegelt. Jetzt, da er sich dort nicht mehr spiegelte, erkannte ich, daß der fremde Junge allein war. Ich sah’s gerade noch, bevor er aus meinem Blick entschwand. Nun wandte ich den Kopf und…
    … und ich erschrak. Der Herr mir gegenüber war
    verschwunden. Er mußte leise wie ein Schatten das Abteil verlassen haben. Auch der große schwarze Koffer war nicht mehr da. Ich murmelte: »Eben hat er sich doch noch im Fenster des anderen Zuges gespiegelt. Und spiegeln kann sich doch nur jemand, der vorhanden ist. Höchst seltsam.«
    Am Ende schob ich das verwirrende Erlebnis auf meine Müdigkeit und brummelte: »Traumspiegelei. Was anders sollte es gewesen sein?«
    Doch in den nächsten Tagen, die auf diese Zugfahrt folgten, seltsamen Tagen in und um Venedig, sollte ich anders denken über das, was ich im Zug erlebt hatte.
    Von jenen seltsamen Tagen will ich erzählen.

    DER SECHZIGSTE TAG, AN DEM ICH GEDANKENVERLOREN
    DIE STADT VENEDIG VERLASSE, DADURCH AN EINEM
    UNBEKANNTEN STRAND EINEM FREUND BEGEGNE UND
    EBENFALLS EINEM BARON, DEN ICH BIS DAHIN NUR AUS
    DER ENTFERNUNG KANNTE. LÄSST MICH EINE SOZUSAGEN
    SOMMERLICHE WEIHNACHTSGESCHICHTE HÖREN, BEVOR
    DER DAMPFER MICH ZURÜCKBRINGT NACH VENEDIG, WO
    ES AN EINEM TISCH DES MARKUSPLATZES PLÖTZLICH

SCHWACH NACH SCHWEFEL RIECHT.

    Wenn man vom Teufel spricht, heißt es im Sprichwort, kommt er auch; und wenn man eindringlich an Leute denkt, heißt es, dann trifft man sie.
    In meinem Falle stimmten beide Sprichwörter, als ich nach dem Besuch beim Kapitän am Lido so in Gedanken verloren war, daß ich mit einem weißen Dampfer fortfuhr, ohne zu wissen, wohin der Dampfer mich trug. Erst als es um mich herum Lärm und Bewegung gab, weil alle Fahrgäste das Schiff verließen, bemerkte ich, daß ich an einem Badeort an der Adriaküste war, den ich nicht kannte.
    Hier aber traf ich, als ich ausstieg, den, der meine Gedanken so in Anspruch genommen hatte, und als ich mit ihm über jemand anders sprach, war dieser Jemand Anders kurz danach zur Stelle.
    Ich ging da zwischen vielen Leuten, die in vielen Sprachen schwatzten, an bunten Kiosken und Speiseeiswagen vorbei, am Ufer entlang, als jemand mir von hinten zurief: »Boy!«
    So hatte man mich einst als Kind gerufen und danach nur bei alten Freunden noch. Ich wußte aber gleich, als ich den Namen hörte, daß ich gemeint war. So blieb ich stehen, drehte mich um und sagte zu dem Mann, der auf mich zugelaufen kam: »Tag, Timm.«
    »Tag, Boy«, sagte der Mann. »Wieso bist du nicht
    überrascht? Erstaunt’s dich nicht, mich hier zu treffen?«
    »Nicht sehr«, sagte ich. »Ich habe nämlich gerade an dich gedacht.«
    »Was für ein Zufall, Boy. Aber so was kommt vor. Und wieso hast du gerade an mich gedacht?«
    »Weil ich am Lido einen alten Kapitän besucht habe.«
    »Und was hat der mit mir zu tun?«
    »Gar nichts, Timm. Ich habe ihn nur ein bißchen ausgefragt über die sagenhaften Glücklichen Inseln.«
    »Und?«
    »Und da hat er mir wirklich einiges darüber erzählt, mich aber dann an einen anderen Kapitän verwiesen. Und dieser Kapitän – und das hat nun mit dir zu tun – der wohnt in Hamburg-Övelgönne.«
    »Aha.« Timm warf den Kopf zurück und hob die Hände.
    Dann wiederholte er: »Aha. Es fiel also das Reizwort Övelgönne. Verständlich, daß du da an mich gedacht hast.«
    »Ich war sogar so in Gedanken«, sagte ich, »in Gedanken an dich und an die Geschichte vom
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher