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Timm Thalers Puppen

Timm Thalers Puppen

Titel: Timm Thalers Puppen
Autoren: James Krüss
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verkauften Lachen, daß ich auf einen falschen Dampfer gestiegen und hierhergefahren bin.
    Was sagst du dazu?«
    »Anziehungskräfte des Bezüglichen«, antwortete Timm ein bißchen rätselhaft. Dann wanderten wir, erfreut, uns getroffen zu haben, langsam die Promenade hinauf.
    Und wer nun wissen will, wer dieser Timm wohl ist, dem kann ich’s sagen: Timm Thaler ist ein Marionettenspieler. Er macht aus Schnüren, Holz und Farben eine Welt, eine
    Theaterwelt, die unserer Welt, in der wir leben, ähnelt. Wenn er gewisse Holzkreuze bewegt, an denen lange Fäden hängen, bewegt er auch die Puppen, die an diesen Fäden baumeln. Er selbst steht dann im Dunkeln oberhalb der Bühne. Die Puppen aber sind im Licht. Wer ihnen zuschaut, wenn sie sich bewegen, der ahnt, daß einer da im Dunkeln steht und ihre Fäden ausläßt oder kürzt.
    Timm Thaler kannte ich seit vielen Jahren. Auf meiner Heimatinsel Helgoland, im Haus einer gewissen Tante Julie, war er dabeigewesen, als wir mit dem Abc gespielt und Verse gereimt und Geschichten erfunden hatten. Später in Leipzig, in einer Druckerei, hatte er mir die Geschichte vom verkauften Lachen erzählt, die Geschichte eines seltsamen Barons und eines Jungen, der Timm Thalers Namen trug. Dann, in
    Hamburg, Rom und anderswo, hatte er einem Mädchen
    namens Nele beigestanden gegen den Baron. Und nun, einige Jahre später, begegnete ich ihm wieder, in einem anderen Lande, in Italien, unweit der schönen Stadt Venedig, und er fragte mich: »Wie geht es dir? Wie geht es deiner kleinen Insel? Ist sie wieder aufgebaut? Und was hörst du von Nele?«
    So viele Fragen, wie Timm Thaler sie hatte, hatte ich auch.
    Wir gingen daher in ein kleines rundes Cafe am Ende der Promenade, in dem es kühl war, weil Ventilatoren surrten, und befriedigten hier gegenseitig unsere Neugier. Wir sprachen von den Lebenden und den Toten, von Städten und von Inseln, die wir kannten, und auch von Puppen sprachen wir. Ein Kellner brachte währenddessen Eiskaffee und sagte: »Prego, signori«; ein Pudel, fürchterlich zurechtgestutzt, beroch meine Sandalen und trollte sich wieder; ein Motorrollerfahrer auf der Promenade vor uns fuhr eine dicke Dame beinahe um, kam aber knapp vor ihr zum Stehen und fuhr sofort mit einem eleganten kleinen Schlenker wieder weiter. Es roch nach Meer, Kaffee und sehr viel Sonnenöl, als Timm mir von seinen Puppen erzählte.
    Die Marionetten, die ich nur einmal von seiner Hand
    geführt gesehen hatte, im Spiel von der Königin, die nicht weinen kann, täten alles, so erzählte mir Timm, vermittels jener Holzkreuze und Fäden, die er dirigiere. »Die Puppen sind meine Geschöpfe«, sagte er.
    »Ihre Bewegungen«, fragte ich, »sind also ganz genau berechenbar?«
    »Ja, Boy, sie sind berechenbar, wenn man die
    Schwerpunkte der Puppen auspendelt. Ich habe aber
    Menschen aus meinen Puppen gemacht.«
    »Wie hast du das gemacht?« fragte ich neugierig.
    Timm sog mit einem Strohhalm Eiskaffee aus seinem Glase ein und sagte: »Ich verschiebe bei ihnen die Schwerpunkte ein wenig.«
    »Und was entsteht daraus?«
    »Bewegungen, die man nicht mehr so genau berechnen
    kann wie eine Mathematikaufgabe.«
    »Sieht das nicht komisch aus, Timm?« fragte ich.
    »Ja, manchmal ist das komisch und zum Lachen«, erhielt ich zur Antwort. »Doch oft sieht es auch jammervoll hilflos aus. Dann ist es eher zum Weinen.«
    »Und wo und wann, Timm, führst du hierzulande deine
    Puppen vor?«
    »Hier gar nicht und einstweilen nirgends, Boy«, antwortete Timm. »Ich mache Ferien. Und nebenher schreibe ich eine Serie kleiner Stücke für mein Theater.«
    »Was werden das für Stücke?« fragte ich.
    »Begebenheiten aus der Zeit, als jeder sich für reich hielt«, sagte Timm, »Geschichten aus den fetten Wohlstandsjahren.«
    »Geschichten also aus der Zeit, als alle unbesehen alles kauften«, sagte ich.
    »Ja«, sagte Timm, »aus dieser Zeit sind meine Stücke.«
    Wir blickten, während wir sprachen, auf die Promenade hinaus. Ein Junge auf einem Fahrrad fuhr gerade vorbei, streifte mit einem flüchtigen Blick die Gäste an den Tischen, trat plötzlich heftig auf die Rückbremse und rief: »Papa!«
    Timm Thaler sah auf und rief: »Komm her und setz dich zu uns, Krescho.«
    »Ich komme gleich, ich stelle nur das Fahrrad ab«, tönte es zurück. Der Junge, zehnjährig vielleicht, mit braunen Kräuselhaaren, lehnte das Rad hinter rotblühendem Oleander an die Promenadenmauer und kam zu uns herüber. Es war Timm Thalers Sohn
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